Saarbrücker Uraufführung Display-Bekenntnisse im Angesicht des Todes

Saarbrücken · Die Saarbrücker Uraufführung des Mitmach-Theaterformats „Game over“ des Kollektivs „Prinzip Gonzo“ in der Alten Feuerwache endet zwiespältig.

 Zwölf Assistenten in Diensten des „Großen Jenseitsamts“, hier zwei davon, helfen den Zuschauern bei ihrem Gastspiel im Reich des Todes.

Zwölf Assistenten in Diensten des „Großen Jenseitsamts“, hier zwei davon, helfen den Zuschauern bei ihrem Gastspiel im Reich des Todes.

Foto: Astrid Karger/SST/Astrid Karger

Ein Transitraum ins Jenseits: Wer ihn betritt, dessen Existenz ist noch nicht endgültig ausgehaucht. Das „Große Amt für jenseitige Analyse“ flickt für die Gestorbenen noch ein „maßgeschneidertes Jenseits“ zusammen – ein letzter Nachschlag? In der Feuerwache dauert das amtliche Purgatorium 70 Minuten und endet mit dem Ausdruck unseres per Smartphone navigierten letzten Lebenspfades. Jeder bekommt zuletzt einen grünen Kassenzettel von rund einem Meter Länge ausgehändigt, auf dem man alle seine zuvor ins Handy getippten (und dort nach der Vorstellung garantiert gelöschten) Antworten nochmal nachlesen kann.

In gewisser Weise illustriert dieser Kassenzettel die ganze Zweischneidigkeit des interaktiven Theaterprojekts des Berliner Kollektivs „Prinzip Gonzo“, das am Freitagabend unter dem Titel „Game over“ in der Feuerwache uraufgeführt wurde. Einerseits ist die Idee ganz wunderbar, uns den ausgefüllten Fragenkatalog als Beleg unserer kleinen Jenseitserprobung mitzugeben. Andererseits: Nochmal nachlesend, stolpert man nicht nur über so manche, eher bemühte Originalität, sondern sieht dokumentiert, dass die für die Parcours-Programmierung benutzte Software mitunter von uns eingeschlagene Gedankenwege ignoriert oder abgeschnitten hat. Wobei diese Algorithmusschwächen etwas Beruhigendes haben: „Gaja“, wie unsere Handynavigatorin heißt, ersetzt noch kein Wesen aus Fleisch und Blut.

Zwei Dinge sind bestechend an dem Abend. Zum einen (sieht man mal ab von unserem anfänglichen Aufgeklärtwerden über die Jenseits-Regularien) die Wirkung der ansonsten allseits herrschenden völligen Stummheit. Zum anderen die innere Verbundenheit, die man (ob der Stille?) empfindet mit den übrigen Nachlebenden neben einem, die alle genauso konzentriert und versunken auf der mit allerlei Türen, Vorhängen und spärlichem Mobiliar unterteilten Bühne herumstehen, -sitzen oder -liegen. Die einen zeichnen oder steigen auf eine Leiter, um Grabbeigaben auf einer Art Altaranrichte abzulegen; andere füllen Flüssigkeiten in Reagenzgläser oder lesen Samen mit einer Pinzette auf. Vor allem aber tippt man artig ins Handy oder hangelt sich von einem abfotografierten QR-Code zum nächsten. Wer Hilfe braucht, kann sich wortlos an einen der zwölf Jenseitshelfer (darunter neben sechs Thea­terstatisten die Schauspieler Luise Kinner, Barbara Krzoska, Nadia Migdal, Clément Böcher, Sébastien Jacobi und Philipp Seidler) wenden. Jedem der 35 Purgatorium-Probanden ist ein amtlicher Assistent zugewiesen. Sie tragen Anzüge und überdimensionale Pappmaché-Masken, die die Identität ihrer Träger nicht zu erkennen geben.

Hintersinnig und charmant ist die Idee des Gonzo-Kollektivs, uns Zuschauer in „Game over“ selbst zu Spielfiguren zu machen, wobei dann (keine Sorge also vor Peinlichkeiten!) jeder seinem eigenen Weg folgt, den er oder sie zuvor selbst bestimmt hat. Zur Wahl stehen sieben Pfade, die etwa „Gleis der verpassten Chancen“, „Pfad der verheimlichten Bedürfnisse“ oder „Allee der vernachlässigten Beziehungen“ heißen und für mindestens sieben differierende Verläufe des Theaterabends sorgen. Der Haken allerdings ist: Das war’s auch schon mit der eigenen Freiheit. Man bleibt eher Marionette, gegängelt von Fragen und Aufträgen. Wobei das technoide Setting durch die Parcoursteuerung per Handy kaum einmal in die Tiefe führt. Zu sehr ist man mit dem Abarbeiten des Fragekatalogs beschäftigt. Unterm Strich hält sich der Erkenntnisgewinn sehr in Grenzen. Je länger der Jenseitsbesuch zurückliegt, umso weniger bleibt davon außer dem Kassenzettel zurück. Der Tod ist kein bisschen weniger Mysterium als zuvor. Und die unausweichliche Handy-Fixierung (und willfährige Datengläubigkeit), die uns die Jenseits-App aufnötigt, etwa als warnenden Kommentar zur Zeit hochzujazzen, wäre auch zu viel des Guten.

Was man „Game over“ hingegen nicht absprechen kann, ist gehörig atmosphärische Sogkraft. Es hat etwas Meditatives, eine Stunde lang mit 35 (im Tod mit uns) Gleichgesinnten in Filzpantoffeln durch die begehbare Installation von Thea Hoffmann-Axthelm zu schlurfen – zumal, wenn zwischendurch noch „The End“ von den Doors läuft. Am Schönsten aber sind jene Momente, in denen man auf kein Display guckt und keine Aufgabe abspult, sondern den Blick schweifen lässt und die Ruhe inhaliert, die in dieser theatralen Stille einzig von den Verrichtungen der anderen ausgeht.

Wieder am 6. und 18. Juni jeweils um 19.30 Uhr und 21 Uhr sowie am 20. Juni (18 Uhr und 19.30 Uhr) und am 23. Juni um 18 Uhr. Es gibt nur noch Restkarten für die 21 Uhr-Vorstellungen.

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