Das Leben ist eine Kochnische

Saarbrücken · „Vu“ war am Samstag im Zirkuszelt als Deutschlandpremiere zu sehen. Das Solo-Stück von und mit Etienne Manceau machte aus einer rudimentären Küche den Ort eines akrobatischen Selbstversuchs: Was kann man mit Alltagsgegenständen alles anstellen?

 Etienne mit den Scherenhänden? Künstler Etienne Manceau in seinem Stück „Vu“. Foto: Alexis Dor

Etienne mit den Scherenhänden? Künstler Etienne Manceau in seinem Stück „Vu“. Foto: Alexis Dor

Foto: Alexis Dor

Hat man "Vu" gesehen, sieht man seine Küche mit anderen Augen. Ist ein Wasserkocher bloß eine schnöde Maschine oder doch ein kleines Wunderwerk, mit dessen Hilfe man Zucker in die Luft katapultieren und punktgenau in der Teetasse versenken kann? So sieht es jedenfalls die namenlose Figur aus "Vu" und nutzt den Wasserkocher entsprechend - aber große Freude bereitet ihm das nicht. Der Mann scheint nicht der rechte Typ dafür zu sein; gelangweilt schlurft er in seine kleine Küche, gelangweilt nimmt er auf einem Stühlchen Platz, gelangweilt zieht er seine Krawatte aus und drapiert sie auf seinem Tischschen, säuberlich parallel zur Tischkante. Auch das Teekochen macht Darsteller und Autor Etienne Manceau zum peniblen Ritual - doch langsam bricht Absurdität durch: In der Küchenschublade entdeckt Manceau ein chinesisches Kochmesser , eine Fernsehzeitschrift, einen Knallfrosch, Streichhölzer und ein Metermaß. Was er damit anstellt, ist improvisierte Mikro-Akrobatik des Alltags: kleine Fluchten durch die Zweckentfremdung des Gewohnten, Ausbruch aus Ritualen. Endlich mal etwas anders machen als gewohnt.

Will ein Gegenstand mal nicht ganz so wie der Artist, helfen Kinder aus der ersten Reihe mit. Junges Publikum einzubinden, birgt die Gefahr des Gefälligen und Gefühligen. Manceau umschifft dieses Risiko, indem er seine Bühnenfigur einen ziemlichen Griesgram sein lässt - bei ihm haben die Kinder, die ihm bei einigen Küchen-Kabinettstückchen helfen, wenig zu lachen: Ein Bonbon zur Belohung gibt es für sie nur, wenn sie sich an den Grundriss seiner Wohnung halten - weiße Linien auf dem Boden - und die nicht überschreiten.

Dieser Kontrast zwischen scheinbar langweiliger/gelangweilter Bühnenfigur und der enormen Fantasie im Umgang mit Alltäglichem hat großen Reiz - ebenso Manceaus Mut, einen betont langsamen Rhythmus einzuschlagen, immer wieder mal zu pausieren, innezuhalten, das Publikum zu taxieren, bevor der nächste Ausbruch aus dem Alltag ansteht, den der Bühnenheld mit nur mäßigem Staunen quittiert. Ein kleines, souveränes Stück; danach hält man seinen Wasserkocher für einen Komplizen für die Flucht aus dem Alltag.

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