Geschichtsstunde unter freiem Himmel

Saarbrücken · Für viele Jugendliche ist das Grauen des Zweiten Weltkriegs kaum noch vorstellbar. Umso wichtiger war es für eine französische Schülergruppe, vor Ort den Spuren dieser dunklen Stunde der Geschichte nachzugehen.

 Horst Bernhard (l.) führte die Berufsschüler aus Nantes durch die Gedenkstätte Neue Bremm. Foto: Maurer

Horst Bernhard (l.) führte die Berufsschüler aus Nantes durch die Gedenkstätte Neue Bremm. Foto: Maurer

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Spätestens als Horst Bernhard kniete, um den "Entenmarsch" nachzumachen, den die Gefangenen stundenlang absolvieren mussten, hatten die letzten Schüler ihre Smartphones wieder in die Tasche gepackt. "Die Männer mussten die Arme hinter dem Kopf halten und aus der Hocke rund um das Wasserbecken springen", erzählte Bernhard von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes den 15 Jugendlichen aus Nantes, welche die Woche im Zentrum für Bildung und Beruf Saar (ZBB) verbracht haben.

Seit drei Jahren ist ein Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Neue Bremm ein fester Programmpunkt im Aufenthalt der angehenden Gärtner aus Frankreich.

"Uns ist es wichtig, dass die Schüler sich die Orte des Grauens wirklich anschauen können. Nur so können sie sich zumindest annähernd vorstellen, was passiert ist, und dafür sorgen, dass es nie wieder so weit kommt", meinte der Nanteser Lehrer Michael Chauvet.

Dass sich der Horror des Zweiten Weltkriegs wiederholen könnte, ist für seinen Schüler Gaëtan kaum vorstellbar. Aber eins ist ihm ganz klar. "Das Leben in diesem Arbeitslager muss so unglaublich hart gewesen sein. Dass Leute das überlebt haben, ist ein Wunder", war der 18-Jährige fassungslos, als Horst Bernhard vom Arbeitspensum und von den täglichen Schikanen durch die Wächter erzählte.

"Das Ziel in der Neuen Bremm war es, den Willen der Menschen zu brechen. Außer für politische Gefangene war es hier auch eine Zwischenstation für Zwangsarbeiter, die danach zu weiteren Konzentrationslagern wie Dachau geschickt wurden", schilderte Bernhard in einem perfekten Französisch. Die Menschen kamen aus elf Nationen. Viele Franzosen waren dabei. Ob welche aus Nantes dazu zählten, weiß man nicht, denn längst nicht alle wurden identifiziert. Zu den rund 20 000 Menschen, die insgesamt in der Neuen Bremm gefangen waren, gehörten nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Jugendliche. Als Horst Bernhard von einem Mann erzählte, der als 15-Jähriger mit seiner ganzen Familie in das Saarbrücker Lager gebracht wurde, sagte der 17-jährige Amaury nachdenklich: "Er war gerade mal zwei Jahre jünger als ich."

Geschichten wie die von diesem Jungen kann Horst Bernhard Hunderte erzählen. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Andenken an die Opfer der Neuen Bremm wach zu halten und führt regelmäßig Schulklassen über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers. "Leider kommen immer weniger Schulklassen aus Frankreich."

Auch Ökologie-Lehrer Chauvet findet das bedauerlich. Im Westen Frankreich gibt es solche Gedenkstätten nicht. Er findet, dass ein Besuch vor Ort unglaublich wichtig ist, damit die Opfer in den Augen der Jugendlichen nicht nur anonyme Zahlen aus einem Schulbuch bleiben: "Hier wird die Geschichte viel anschaulicher dargestellt als in einem Unterrichtsraum."

Nächstes Jahr will er wieder mit weiteren angehenden Gärtnern der Berufsschule Nantes-Terre-Atlantique kommen. Nicht nur die französischen Gäste interessieren sich für die Geschichte des Lagers an der Grenze. Auch ihre saarländischen Altersgenossen vom ZBB haben erkannt, wie wichtig es ist, dass auch die jungen Generationen diesen Ort pflegen. "Vor rund fünf Jahren haben unsere Azubis die Gartenpflege hier übernommen", berichtet Mechthild Jablonski-Derow, Abteilungsleiterin Aus- und Weiterbildung beim ZBB.

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