Danke fürs Heimatgefühl, rote Lilo

Alte Freunde erkennt man daran, dass man mit ihnen viele Erinnerungen teilt. "Kennst du noch die rote Lilo?", fragte mich Frank vergangene Woche. "Klar", antwortete ich. Ich war 1994 aus Donaueschingen in Baden-Württemberg zum Studieren nach Saarbrücken gezogen. Eines Abends stand ich in einer Kneipe am Markt, als eine Schnodderstimme mich aufforderte: "Mädel, mach' Platz

Alte Freunde erkennt man daran, dass man mit ihnen viele Erinnerungen teilt. "Kennst du noch die rote Lilo?", fragte mich Frank vergangene Woche. "Klar", antwortete ich. Ich war 1994 aus Donaueschingen in Baden-Württemberg zum Studieren nach Saarbrücken gezogen. Eines Abends stand ich in einer Kneipe am Markt, als eine Schnodderstimme mich aufforderte: "Mädel, mach' Platz."Als ich mich umdrehte stand eine ältere Frau vor mir, die sich stur ihren Weg durch die dicht gedrängte Kneipe bahnte. Einst waren ihre Haare rot gewesen, auf ihren groben Gesichtszügen trug sie ein schmales Lächeln, in ihren Händen druckfrische Zeitungen. "Zeitung, Zeitung", rief sie laut. "Wer ist das?", wollte ich damals wissen. Die Antwort: "Lieselotte Weihs, genannt die rote Lilo. Zeitungsverkäuferin vom Markt und ein Saarbrücker Original." Ihr Lieblingsgetränk war aber nicht rot, sondern orange. "Sie trank bei jedem Wirt einen Orangensaft mit einem Schuss Cognac", schmunzelte Frank.

Viele Jahre hatte sie den Kiosk "Lilo Press" in der Kaltenbachstraße betrieben. Ihre Popularität nutzte sie, um für Oskar Lafontaine Wahlkampf zu machen - sie selbst bekam eine Rolle im SR-Tatort. Im März 1998 starb sie mit 76 Jahren. Irgendwann war der Kiosk nur noch Schaukasten für einen Immobilienmakler. 2007 verschwand "Lilo Press" ganz. Bis zum Wochenende. Beim "Winterfest am Silo" im Osthafen stand "Lilo Press" plötzlich wieder vor mir. "Mädel, mach' Platz", summte es in meinem Kopf. Rost und Graffiti überziehen den Kiosk heute.

Silo-Besitzer Walther Göggelmann erzählte mir mit schwäbischem Dialekt am Telefon, dass er ihn von einem Freund im Juni 2011 erworben habe. Seit 20 Jahren gehört dem Architekten, der ursprünglich von der Schwäbischen Alb stammt, das Silo. Er sei schlicht ein "Bewahrer und Sammler alter Kultobjekte" und wolle im Frühjahr den Kiosk restaurieren.

Er kannte natürlich auch Donaueschingen. Nach dem Telefonat war ich um eine Erkenntnis reicher: Nicht nur mit alten Freunden teile ich die Erinnerung an die rote Lilo, sondern auch mit Fremden. Wenn sich zwei Ex-Baden-Württemberger über ein Saarbrücker Original unterhalten, dann haben sie wohl eine neue Heimat gefunden. Danke fürs Heimatgefühl, rote Lilo!

Was haben Sie wiederentdeckt? Schreiben Sie mir eine Mail an marija.herceg@gmx.de .

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