Behinderte brauchen Freunde

Alt-Saarbrücken. Auf dem Flur in der "Kindertagesstätte Alt-Saarbrücken" rufen zwei Mädchen "Hallo, Yasin" und winken. "Hast du gehört?", fragt Vater Tülay Kaya (36) seinen fünfjährigen Sohn, den er auf dem Arm trägt. Yasin lächelt schüchtern. Antworten kann er den Mädchen nicht, denn der Fünfjährige ist körperlich und geistig behindert

 Beim Besuch in der Kindertagesstätte: (v.l.) Vater Tülay Kaya, Yasin, Mutter Demo Kaya und Integrationspädagogin Doris Müller-Probst. Foto: Marija Herceg

Beim Besuch in der Kindertagesstätte: (v.l.) Vater Tülay Kaya, Yasin, Mutter Demo Kaya und Integrationspädagogin Doris Müller-Probst. Foto: Marija Herceg

Alt-Saarbrücken. Auf dem Flur in der "Kindertagesstätte Alt-Saarbrücken" rufen zwei Mädchen "Hallo, Yasin" und winken. "Hast du gehört?", fragt Vater Tülay Kaya (36) seinen fünfjährigen Sohn, den er auf dem Arm trägt. Yasin lächelt schüchtern. Antworten kann er den Mädchen nicht, denn der Fünfjährige ist körperlich und geistig behindert. Er kann nicht allein gehen, aber krabbeln. Außer mit den Worten "Mama" und "Papa" artikuliert sich Yasin mit Gluckslauten. Er muss gewickelt werden und braucht Hilfe beim Essen und Trinken. Heute ist für Yasin ein guter Tag: Er darf wie andere Kinder auch in die Kita. Was für sogenannte Regelkinder normal ist, wird ihm zunehmend verwehrt."Er braucht eine Eins-zu-eins-Betreuung", erläutert seine Integrationspädagogin Doris Müller-Probst (45) vom Verein "Miteinander leben lernen e.V." (MLL), "jemand muss nonstop für ihn da sein und gezielt mit ihm arbeiten. Die Kita-Erzieherinnen können das nicht zusätzlich leisten. Er hat keine Gefahrenerkennung, er krabbelt davon, egal, ob ihm eine zufallende Tür die Hände quetscht oder er von der Treppe hinunterpurzelt."

Seit dem 1. August 2011 kümmert sich die Integrationspädagogin um die Eingliederung und die individuelle Förderung des Jungen. Im ersten Halbjahr bewilligte das Landesamt für Soziales acht Stunden wöchentlich. Dreimal die Woche konnte Yasin vormittags in den Kindergarten. Nach dem ersten halben Jahr wurden - ohne Begutachtung vor Ort - vom Landesamt die integrationspädagogischen Maßnahmen auf sechseinhalb Stunden reduziert. "Jetzt kommt Yasin nur noch zweimal die Woche. Das reicht einfach nicht. Eine integrationspädagogische Maßnahme kann nicht mit solch reduzierten Rahmenbedingungen laufen", betont Müller-Probst.

Yasin fühlt sich wohl im Kindergarten. Auf der Matte im Bewegungszimmer streckt er seiner Betreuerin den Fuß entgegen. "Er weiß, dass wir hier die Schuhe ausziehen", schmunzelt sie und öffnet die Klettverschlüsse. Dann beginnt er zu krabbeln, holt sich Spielsachen aus dem Regal, lächelt und ruft "Mama". Mutter Demo (34) wirkt angespannt. Ihr Blick zeigt tiefen Kummer. "Ich bin immer allein mit Yasin", sagt sie und kann ihre Tränen nicht mehr halten. Jeden Tag, beschreibt sie, krabbelt er an die Haustüre, will sie öffnen, um in den Kindergarten zu gehen, "aber leider geht das nicht".

Yasins Fortschritte nach 15 Monaten intensiver Arbeit mit seiner Integrationspädagogin sind deutlich zu spüren: Mittlerweile reagiert Yasin auf Signale wie "Hand geben" oder "hoch", beschreibt seine Betreuerin, "wenn man ihn auf beiden Seiten hält, kann er sogar gehen. Er versucht sich mit Lauten, die mit Gesten gekoppelt sind, immer mehr mitzuteilen und hat schon einige Grundregeln akzeptiert."

Der Vater guckt stolz: "Das Laufen ist anstrengend für ihn, aber es geht. " Yasin blüht in der Kita auf. "Kinder gehen vorbehaltlos, offen und verständnisvoll mit behinderten Kindern um. Wenn Yasin nicht da ist, fragen sie nach ihm", unterstreicht Kita-Leiterin Stefanie Heisig, "Kinder brauchen Kinder, um sich sozial-emotional entwickeln zu können."

Gegen die Reduzierung der Betreuungsstunden hat die Familie Kaya beim Landesamt Widerspruch eingelegt. Der Widerspruchsbescheid datiert vom 2. Februar. Mittlerweile hat die Familie gegen den Bescheid vom Landesamt geklagt. "In der UN-Konvention für behinderte Menschen ist das Recht auf inklusive Bildung ein Menschenrecht. Die Praxis aber zeigt, dass ein unvernünftiger Spareifer das verhindert. Auf Kosten der Kinder und Eltern", sagt Müller-Probst.

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