"Meine Füße sind wie neu"

Saarbrücken. Obdachlos sein, das heißt: am Rande der Gesellschaft zu leben, kein Dach über dem Kopf zu haben. Und es heißt oft, nicht zu wissen, wer hilft, wenn der Körper streikt. Viele, die sich so durchs Leben schlagen, sind schwer krank. Der Weg in eine Arztpraxis, für den Durchschnittsbürger das Normalste auf der Welt, ist für Obdachlose mit Hürden verstellt

 Fußpflege ist mehr als Kosmetik für die Zehen. Sie verhindert sogar schwere Krankheiten. Jetzt haben Fußpfleger im Diakonischen Zentrum unentgeltlich Obdachlose behandelt. Foto: dpa

Fußpflege ist mehr als Kosmetik für die Zehen. Sie verhindert sogar schwere Krankheiten. Jetzt haben Fußpfleger im Diakonischen Zentrum unentgeltlich Obdachlose behandelt. Foto: dpa

Saarbrücken. Obdachlos sein, das heißt: am Rande der Gesellschaft zu leben, kein Dach über dem Kopf zu haben. Und es heißt oft, nicht zu wissen, wer hilft, wenn der Körper streikt. Viele, die sich so durchs Leben schlagen, sind schwer krank.

Der Weg in eine Arztpraxis, für den Durchschnittsbürger das Normalste auf der Welt, ist für Obdachlose mit Hürden verstellt. Sie schämen sich, mit schmutziger Kleidung ein Wartezimmer zu betreten. Sie leiden darunter, wenn die abschätzigen Blicke der anderen Patienten an ihnen herabgleiten. Die Folge: Obdachlose verschleppen Krankheiten viel öfter als andere. Und die Folgen machen ihnen dann nur um so schlimmer zu schaffen. Nicht behandelte Verletzungen wie Knochenbrüche führen sogar zu dauerhaften Behinderungen.

Ein Team des Diakonischen Werkes an der Saar verhindert solche Tragödien. Seit 1978 bietet es Obdachlosen mit der Kassenärztlichen Vereinigung im Diakonischen Zentrum am St. Johanner Markt eine medizinische Grundversorgung und eine ärztliche Sprechstunde

Sechs ehrenamtlich tätige Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten sind für die Patienten da, die dort keine abschätzigen Blicke fürchten müssen. Entsprechend viele Patienten nutzen das Angebot. "In den letzten sechs Jahren hat sich die Zahl verdreifacht", sagt Dr. Udo Bohr. 30 Jahr lang war er als Internist in Saarbrücken tätig. Seit 2004 arbeitet er ehrenamtlich im Diakonischen Zentrum mit. Während seiner Zeit als niedergelassener Arzt hat Bohr immer wieder die Erfahrung gemacht, wie schwer sich obdachlose Menschen tun, eine Arztpraxis aufzusuchen. Was Bohr - neben den oft schlimmen Krankheitsgeschichten - besonders bewegt, sind die "oft fatalen Lebensschicksale, die Menschen aus der Armut in die Obdachlosigkeit" führen. Nicht zuletzt ist es ein gesellschaftspolitisches Motiv, das den 69-Jährigen dazu bringt, Wissen und Erfahrung in den Dienst des Ehrenamtes zu stellen: "Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich in unserer relativ reichen Gesellschaft empfinde ich als Skandal und möchte einen Beitrag zur Minderung dieser Kluft leisten", erklärt Bohr. Die Krankheiten, mit denen er und seine fünf Kollegen während der wöchentlichen Sprechstunde konfrontiert sind, entsprechen im Großen und Ganzen denen, die in regulären Praxen den Alltag bestimmen. Allerdings litten Obdachlose wegen ihrer Lebensumstände häufiger unter fortgeschrittenen Hauterkrankungen und Verletzungen. Diabetes hingegen komme im Vergleich zur Gesamtbevölkerung seltener vor. Einen großen Bedarf gibt es auch bei der medizinischen Fußpflege. Die bot das Diakonische Zentrum mit einem Partner, dem Zentralverband der Podologen und Fußpfleger Deutschlands (ZFD), erstmals an. Ein Dutzend Frauen und Männer kamen, um sich die Nägel schneiden, Hornhaut entfernen oder sonstige Auffälligkeiten behandeln zu lassen.

"Die Aktion kam sehr gut an", sagt Martin Kunz, der die medizinische Grundversorgung koordiniert und als Sozialarbeiter im Projekt mitmacht. Denn nur so ist gewährleistet, dass der Patient auch nutzen kann, was der Arzt verordnet hat. So kümmert sich Kunz bei Bedarf um einen Krankenhausplatz, besorgt saubere Kleidung, spricht mit den Krankenkassen und treibt das Geld für die Behandlung von Patienten auf, die nicht krankenversichert sind. Und wer es nicht mehr ins Diakonische Zentrum schafft, zu dem geht der Sozialarbeiter eben hin. Und den Arzt hat er, wenn's sein muss, gleich dabei.

Dass auch die Fußpfleger Gutes getan haben, zeigte die erste Reaktion eines Obdachlosen nach der Behandlung: "Meine Füße sind wie neu."

Stichwort

Ehrenamtliche und Spender gesucht: Die medizinische Grundversorgung ist im Diakonischen Zentrum Saarbrücken, Alte Kirche, Evangelisch-Kirch-Straße 29. Um Obdachlose zu behandeln, werden weitere Ärzte gesucht, die ehrenamtlich helfen. Auch Geld wird benötigt, zum Beispiel für Medikamente. Weitere Infos für alle, die helfen möchten, unter Tel. (06 81) 3 89 83 30 oder unter Tel. (06 81) 3 89 83 22. rae

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