Gesellschaftskritik an einem Saarbrücker „Theater-Unort“ „Bringt euch alle um!“

Saarbrücken · Das „Korso-Op.Kollektiv“ spielt sein neues Stück „Tristesse Royale“ am Saarbrücker Osthafen: Um die Welt zu retten, soll sich der Mensch selbst ausrotten.

 Zynisch, komisch, radikal: Nina Schopka (vorne), Nadia Nigdal (r.) und Nikolas Marchand beim Kongress des „Human Extinction Movement“.

Zynisch, komisch, radikal: Nina Schopka (vorne), Nadia Nigdal (r.) und Nikolas Marchand beim Kongress des „Human Extinction Movement“.

Foto: Korso op-Kollektiv/Varvara_Kandaurova

Eingangs werden wir gewogen und vermessen, tauschen Schuhe gegen Plüschsocken und kuscheln uns zu salbungsvoller Meditationsregie auf einen gepolsterten Teppich. Augen zu, Entspannung. Nichts kann uns mehr etwas anhaben, jetzt, da wir über Kristallstrahlen mit Einhörnern verbunden sind, die uns in ihr Licht der Liebe einhüllen. Doch unsere esoterisch verblendete Komfortzone entpuppt sich als Kongress des „Human Extinction Movement“, auf dem es um so unangenehme Dinge wie Klimaschutz, Massentierhaltung und die Rettung unseres Planeten geht: Der Mensch, so das Postulat, soll sich zugunsten anderer Spezies opfern.

In Wahrheit – aber was ist schon die Wahrheit, genau das ist hier Thema – sind wir im „Sektor Heimat“ am Osthafen, den das „Korso-Op.Kollektiv“ jetzt (nach Garellyhaus und dem Hochbunker in der Sulzbachstraße) als dritten „Theater-Unort“ im Rahmen seiner „MaschineMenschGott“-Trilogie bespielt. Was 2017 mit „BabylonPogo“ und der Vertreibung aus dem Paradies begann, wird nun in „Tristesse Royale“ (in Kooperation mit dem xm:lab der HBK und in Koproduktion mit der Forbacher Compagnie TGNM) zu Ende gebracht. Premiere war am Samstag, wie immer gegen Eintritt auf Spendenbasis.

Schluss mit der Gängelei! Durch Aufgabe seiner selbst begehrt der Mensch selbstbestimmt gegen die Schöpfung auf. Fiktion definiert Realität: Im Miteinander von Live-Aktion und Video verzahnt sich beides, denn erneut greift das Performance-Kollektiv zum Mittel der Collage. Authentisches Material aus Interviews, Blogeinträgen und TV-Shows wird mit Theatertexten von Wolfram Lotz so montiert, dass in permanenter ironischer Brechung Szenen, Musik und Multimediales gegengeschnitten werden. Damit gelingt dem Ensemble (Ausstattung: Gregor Wickert, Visualisierungen: Grigory Shklyar) ein ebenso komischer wie zynischer, gesellschaftskritischer Partizipations-Trip, der an der aktuellen Klimadebatte, ethischer Verantwortung und der Leichtgläubigkeit gegenüber alternativen Fakten andockt.

Löblicherweise verzichtet Korso-Op diesmal auf bemühte Provokationen; weitaus intensiver schockiert allein das konsequente und radikale Weiterdenken von Positionen: „Selbstmord, Sodomie, Abtreibung, Kannibalismus. Bringt Euch um!“ fordert eine Aktivistin (Nina Schopka) im Gespräch mit den beiden Kongressleitern (ebenfalls in wechselnden Rollen: Nadia Migdal, Nicolas Marchand). Sofern sie zu Wort kommt, weil auf einem riesigen Splitscreen ständig Werbetrailer mit heroischer Musik dazwischen donnern. Wunschdenken kollidiert mit Realität, Konsumgier boykottiert Altruismus. Aber Klimawandel, Krieg, Ausbeutung passieren wirklich, lautet die Erkenntnis, das darf doch nicht länger verdrängt werden? Das gestammelte „Ich sage nur, wie es ist!“ ist nur einen Steinwurf entfernt von der wohlfeilen Stammtisch-Parole „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“, die wenig später laut wird. Dazwischen dominiert Ratlosigkeit – sich wiederholt schnappend öffnende, stumme Münder sind ein treffendes Bild dafür.

Danach treten auf, und nun wird’s  herrlich absurd: ein Attentäter, der nur einen übermenschlichen Richter akzeptiert; ein krebskranker Prometheus, der nicht mehr länger toleriert, dass seine angefressene Leber sich ewig regeneriert; und der weinerliche Revolutionär Bakunin, der sich als echter Anarchist von keinen Gesetzen der Zeit und des Raums mehr etwas vorschreiben lassen mag. Der in der gesamten Trilogie präsente Gott (Markus Müller) begegnet uns als völlernder, geiler, tyrannischer Widerling, der von seiner Mutter (Elfie Elsner) als billige Kopie ihrer selbst entlarvt und verjagt wird. Am Ende stehen das Einklagen des Unmöglichen und die Verweigerung jeglicher evidenzbasierter Erkenntnisse: „Nur weil etwas stimmt, müssen wir es ja nicht glauben.“ Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. 

Termine, Infos: korso-op.com

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort