Saarbrücker Premiere „Das Folgenreich“ – Premiere des Korso-Op. Kollektivs
Saarbrücken · Gleich der Anfang macht klar: Dies ist auch ein Experiment am Publikum. Erst wird man zur Registrierung gedrängelt, wo man sich einen individuellen QR-Code auf die Jacke pappt, um nach dem Scan desselben auf der ungemütlichen Eingangstreppe hingehalten zu werden.
Drinnen: mal grimmig, mal nett dreinschauende Ordnungshüter; mal wird man freundlich, mal barsch durch die dunklen Gänge gelotst, um sich auf engem Raum zusammen zu quetschen. Ein Lächeln oder schlicht der Zufall entscheidet, ob man einen Sitzplatz bekommt oder stehen muss. Und über allem schwebt die unausgesprochene Frage: Wie viel Ordnung, Druck, Regeln, Distanz und Individualität braucht Gemeinschaft?
Am Samstag lud das Korso-Op.Kollektiv – ein auf scheinbar unbespielbare „Theater-UnRäume“ und multimedial angereicherte Collagen spezialisiertes Ensemble freier Theaterschaffender – zur Premiere ins ehemalige „Bunker-Hotel“ Ecke Sulzbach-/Richard-Wagner-Straße. Hier spielt „Das Folgenreich – Atempause vor dem Sturm“, der zweite Teil der Korso-Op-Trilogie „MaschineMenschGott“. Zielte das Debüt „BabylonPogo“ auf die Beziehung von Mensch und Technologie, so dreht sich nun alles um Normen des Zusammenlebens. Dafür hat Korso-Op Texte von Gregor Koppenburg, Grimme-Preisträger 2018, mit Interviews, Blogs und anderem Material kombiniert. Um Macht und Gehorsam geht es im Foyer, wo Gottes alttestamentarische Forderung an Abraham, ihm seinen Sohn zu opfern, in einem hybriden Mix aus Live-Drama und Filminstallation umgesetzt wird.
Überhaupt hat Korso-Op einen fabelhaften Aufwand betrieben, um das kahle Gebäude einzurichten (Ausstattung: Gregor Wickert, Visualisierungen: Grigory Shklyar) und via Microports, Lautsprechern und Bildschirmen die simultane Übertragung von Bild und Ton zu ermöglichen. Auch die schauspielerischen Leistungen (Nina Schopka, Nadia Migdal, Nicolas Marchand, Elodie Brochier, Elfie Elsner und Markus Müller) begeistern. In ihrer morbiden Komik brillant sind etwa die gegengeschnittenen, sich verdichtenden Monologe in Einzelzellen, die das Minenfeld aus sozialer Fürsorge und sozialer Kontrolle im nachbarschaftlichen Mikrokosmos verhandeln. Außer dieser Sequenz nimmt freilich nur die arg ausgewalzte Szene in der Hotellobby echten Bezug zum Spielort. Hier veranstaltet ein schmieriger Animateur erniedrigende Spielchen, die auch als Mediensatire verstanden werden können: Was mache ich mit, wann sage ich nein?
Leider scheut Korso-Op das Risiko, echte Kandidaten aus dem Publikum zu rekrutieren, und exerziert das Ganze nur durch. Wobei das Ensemble auch hier wieder, wie in „BabylonPogo“, mit sexistischen Obszönitäten zu provozieren sucht, die aber in ihrer Absicht so durchsichtig und altbacken daher kommen, dass sie nicht schockieren, sondern verärgern, bestenfalls amüsieren. Umso intensiver, weil authentisch gerät der Schluss, wo das Anfangs-Thema vom biblisch Abstrakten ins familiär Konkrete kippt und sich fürchterlich zuspitzt: In Küche und Kinderzimmer wird man Zeuge des inquisitorischen Verhörs einer Tochter durch ihre Eltern; die autoritären Erziehungsmethoden enden in einer Katastrophe. Das letzte Wort hat der NS-Verbrecher Adolf Eichmann: Seine Zitate aus dem Jerusalemer Prozess von 1961 werfen mit ihrer Verweigerung persönlicher Verantwortung eine weitere moralische Meta-Ebene auf.
Termine, Infos, Karten unter:
www.korso-op.com