„Bis dann, mein Sohn“ im Saarbrücker Filmhaus Die Zukunft gehört nur den Anderen

Bonn · Der herausragende Film „Bis dann, mein Sohn“ erzählt vom Schicksal eines Ehepaares – und von drei Jahrzehnten chinesischer Geschichte. Das preisgekrönte Drama startet im Saarbrücker Filmhaus.

 Die trauernden Eltern Yaojun (Wang Jingchun, links) und Liyun (Yong Mei) ziehen nach dem Tod ihres Sohnes in einen anderen Teil Chinas, der ihnen fremd bleibt.

Die trauernden Eltern Yaojun (Wang Jingchun, links) und Liyun (Yong Mei) ziehen nach dem Tod ihres Sohnes in einen anderen Teil Chinas, der ihnen fremd bleibt.

Foto: Piffl Medien

Liyun (Yong Mei) wird auf die Bühne gerufen. Vor versammelter Arbeiterschaft wird ihr und ihrem Mann Yaojun (Wang Jingchun) der Preis für Familienplanung überreicht. Die gleichen Menschen, die sie wenige Tage zuvor zur Abtreibung ihres ungeborenen Kindes gezwungen haben, gratulieren ihnen nun. Regungslos nimmt das Ehepaar die Demütigung entgegen, die die Partei eine Auszeichnung nennt, und lässt den Applaus der Genossen über sich ergehen.

Es wird nicht die einzige Tragödie im Schatten der Ein-Kind-Politik bleiben, die Liyun und Yaojun erleben. Ihr Sohn Xingxing (Roy Wang) ertrinkt in einem Stausee. Sein Tod ist der Mittelpunkt eines Traumas, das „Bis dann, mein Sohn“ über mehr als drei Jahrzehnte der jüngeren chinesischen Geschichte ausbreitet. Gleich zwei Familien wird der Tod des kleinen Jungen ihr ganzes Leben lang heimsuchen. Liyun und Yaojun ziehen in einen anderen Teil Chinas, der ihnen fremd ist. Sie sprechen weder den Dialekt der Einheimischen noch teilen sie deren Lebensgewohnheiten. Wie Geister überdauern sie hier die ersten Jahre nach Xingxings Tod.

Für die chinesische Gesellschaft sind es Jahre gewaltiger Umwälzungen, die immer wieder in den Film hineinragen: Die Straßen werden breiter; ganze Häuserblocks werden abgerissen, ersetzt und neu bezogen. Nur eine weiße Mao-Statue hält dem Aufbruch stand und winkt, eingepfercht zwischen Neubauten, der Zukunft entgegen.

Eine Zukunft, an der Liyun und Yaojun nicht mehr teilhaben. Ihr Leben ist in einem anderen Kapitel der chinesischen Geschichte zum Stillstand gekommen. „Wir warten nur noch auf das Altwerden“, sagt Yaojun. Ihr Verharren in der Trauer zeigt der Film nicht als chronologische Entwicklung. Für das Ehepaar fließt die Zeit nicht mehr, sie stockt und stottert. Beide werden auf der Zeitleiste der chinesischen Geschichte hin- und hergeworfen, zwischen dem Nachbeben der Kulturrevolution, den Aufstiegs- und Modernisierungsjahren auf dem Land und in der Großstadt.

Langsam fügen Regisseur Wang Xiaoshuai und sein Cutter Lee Chatametikool dieses versprengte Leben wieder zu einer Montage zusammen. Die Zeit ist so weit gestreckt, dass Erinnerungen innerhalb des Films möglich werden. Nach Jahren kehrt mit den besten Freunden und ihrem Sohn Hao Shen (Du Jiang), der mit Xingxing am Staudamm spielte, bevor dieser ertrank, die Erinnerung zurück – an die Tragödie, aber auch an bessere Zeiten. Der Tod Xingxings hat die Familien untrennbar miteinander verbunden.

„Bis dann, mein Sohn“ formt die Zeit auf ganz eigene Art. Mit einer schönen Erinnerung scheint sie schnell zu verfliegen, bis sie mit dem Schmerz einer anderen Erinnerung wieder einfriert. Ein Stillstand, den Wang Xiaoshuai mit präzisem Blick auf den Alltag zeigt. Oft sind es Gegenstände und Gebrauchsdinge, die als eine Art Gegenentwurf zur Architektur des Fortschritts dienen. Die unverzichtbaren Thermoskannen, die omnipräsenten Schnapsflaschen und der verwaiste Flurschrank überdauern den gesellschaftlichen Wandel und bleiben die Anker in Liyuns und Yaojuns Leben.

Und doch kann das Paar nicht der politischen Öffentlichkeit entfliehen. Mehrfach werden beide mit gewaltiger Kraft aufeinanderstoßen – wie zwei tektonische Platten, deren Kollision mit unvorstellbarer Gewalt über Jahrhunderte die Erde formt. Der einzige Halt vor dem Abgrund der Trauer ist der Zusammenhalt zwischen Liyun und Yaojun.

Das Darstellerpaar Yong Mei und Wang Jingchun verschreibt sich den kleinen Gesten dieser Ehe; ihre Liebe wird nicht über schwere Worte erzählt. Die über Jahrzehnte gewachsene Selbstverständlichkeit, mit der sie einander begleiten, sagt mehr als jeder Dialog. Als beide im Flugzeug von Turbulenzen hin- und hergeschleudert werden, stellen sie mit einem Lächeln fest, dass sie selbst nach dem Verlust des Kindes noch Angst vor dem Tod haben. Eine Angst, die nach den Jahren des Schmerzes geradezu absurd erscheint. Ihre Hände aber halten einander fest. Ihre Verbindung ist so stark, dass das schlichte Händehalten eine Liebe ausdrückt, die jede Revolution, jede Umwälzung und jede Tragödie überdauert.

 Regisseur Wang Xiaoshua (53). Sein Film „Bis dann, mein Sohn“ ist der Auftakt einer geplanten Trilogie über China und dessen Geschichte.

Regisseur Wang Xiaoshua (53). Sein Film „Bis dann, mein Sohn“ ist der Auftakt einer geplanten Trilogie über China und dessen Geschichte.

Foto: Piffl Medien

„Bis dann, mein Sohn“ läuft ab Donnerstag im Saarbrücker Filmhaus.

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