Interview Petra Williams Engel helfen, wenn Künstler in Not sind

Interview · Die Sängerin Petra Williams hat während Corona eine Durststrecke gehabt – wie alle Künstler. Das aber hat sie zu einer Idee inspiriert.

 Petra Williams.

Petra Williams.

Foto: Petra Williams/Salvatore Talione

Als die Auftritte während Corona wegbrachen, suchte sich die saarländische Sängerin Petra Williams einen ganz anderen Job und fing bei dem Unternehmer Uwe Schlote an. Zusammen hatten sie die Idee zur Vermittlungs-Agentur für von Hartz IV bedrohte oder in finanzielle Not geratene Künstler. Damit rannten sie offenbar die bekannten offenen Türen ein: Die Nachfrage ist genauso groß wie das Angebot. Bundesweit.

Artist Angel – die Anlaufstelle für Künstler in Not. So heißt es auf Ihrer Website. Wer oder was sind die Artist Angel, die Künstler-Engel?

Petra Williams: Artist Angel ist eine neue Anlaufstelle für Künstler, die sich auf einer Durststrecke befinden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese, wie im Moment, durch Corona ausgelöst wurde oder ob es andere Beweggründe gibt. Wir nehmen immer gerne als Beispiel die Balletttänzerin, die sich den Fuß verknackst und ein paar Monate nicht auftreten kann, oder Schauspieler, bei denen das nächste Engagement noch ein bisschen auf sich warten lässt. Artist Angel verknüpft Kultur und Wirtschaft miteinander, indem Firmen den Künstlern befristete Jobs zur Verfügung stellen, um sie aufzufangen oder gar vor Hartz IV zu schützen. 

Es gibt ja in der Wirtschaft ebenfalls diesen Begriff, Wirtschafts-Engel. Das sind erfahrene Unternehmer, die Jungunternehmen Tipps geben. Hat Sie das mit inspiriert?

Williams: Das war definitiv die Idee dahinter! Wir dachten, was in der Wirtschaft schon seit Jahren funktioniert, kann doch auch im Kunst- und Kulturbereich klappen. Statt Business-Engel hatten wir zuerst „Music-Angel“ im Sinn, aber dann haben wir uns für „Artist-Angel“ entschieden, da wir ja alle „Artisten“ aus den unterschiedlichsten Bereichen ansprechen. Und das geht über den Schauspieler, bis hin zur Tänzerin, über den bildenden Künstler oder dem Techniker im Hintergrund. 

Wann und wie genau ist die Idee entstanden? 

Williams: Die Idee dazu hatte ich zusammen mit dem Unternehmer Uwe Schlote und sie ist tatsächlich jetzt in der Corona-Zeit entstanden. Ich bin als Künstlerin natürlich auch davon betroffen, dass alle Auftritte von einem auf den anderen Tag ausgefallen und alle Einnahmen damit weggefallen sind. Dann habe ich von Uwe, den ich zuvor schon mit seiner Frau auf einem Konzert von mir kennenlernte, einen Aufruf gesehen, dass er Redakteure für seine neue Motorrad-App TourDo sucht. Ein paar Tage später hat er mich angestellt und wir hatten die Idee, wieso wir nicht auch anderen Künstlern auf die gleiche Art und Weise helfen! 

Es gab und gibt ja aus den unterschiedlichsten Gründen schon immer Durststrecken für Künstler. Wie jetzt während Corona allgemein oder auch ganz individuell. Wieso ist da früher noch niemand auf diese Idee gekommen? 

Williams: Das ist eine gute Frage! Aber ist das nicht bei den meisten guten Ideen so, dass man sich fragt, wieso da nicht schon früher jemand drauf gekommen ist? (lacht) Ein weiterer Grund ist aber sicher auch, dass Künstler es verständlicherweise nicht gerne an die große Glocke hängen, wenn es ihnen finanziell schlecht geht, was man ja auch irgendwie nachvollziehen kann. Oder dass Künstler eine schlechte Auftragslage insgeheim auf die Qualität ihrer Kunst beziehen. Das fördert natürlich ebenso das Schamgefühl. 

Wie sind Sie vorgegangen? Haben Sie explizit Firmen angesprochen? 

Williams: Die Idee an sich, beziehungsweise der Zuspruch darauf, hat uns anfangs selbst ein bisschen überrannt. Wir hätten nicht gedacht, dass wir scheinbar überall offene Türen einrennen, was uns zeigt, dass der Bedarf, in der Hinsicht etwas zu unternehmen, doch größer ist, als vermutet. Wir haben dann erst in unserem näheren Umfeld mit Firmen gesprochen und fast jeder hat uns seine Unterstützung zugesagt. So wird die Initiative immer weiter wachsen, bis wir einen großen Pool an den unterschiedlichsten Jobangeboten haben.

 Uwe Schlote im Interview.

Uwe Schlote im Interview.

Foto: Petra Williams/Salvatore Talione

Wie war der Zuspruch von Seiten der Künstler bisher? 

Williams: Ebenso enorm wie seitens der Firmen! Als wir im März das Musikvideo zum offiziellen Kampagnensong „Sag mir wann“ aufgenommen haben, hat Jens Streifling von den Höhnern sofort angeboten, das Saxofonsolo einzuspielen, da er von dem Song und der Initiative direkt begeistert war. Inzwischen gibt es immer mehr Künstler, die uns helfen, die Initiative bekannt zu machen, damit wir möglichst viele Firmen und Künstler erreichen können. Zum Beispiel hat uns der saarländische Komponist und Produzent Frank Nimsgern ein kleines Video mit netten Worten zur Initiative aufgenommen und im Hintergrund gehört der Sänger Henning Wehland (H-Blockx, Söhne Mannheims) mittlerweile als fester Bestandteil zum Team und steht uns mit Rat und Tat zu Seite. 

Kann man schon was zu Vermittlungszahlen sagen? Können Sie ein paar Beispiele für Vermittlungen nennen? 

Williams: Um genaue Vermittlungszahlen zu nennen, ist es noch zu früh. Wir haben uns erst mal darauf konzentriert, dass wir die Homepage online stellen und dass die technischen Dinge im Hintergrund funktionierten. Wir haben eine Firma gegründet, ein Logo entwerfen und gleichzeitig schützen lassen, damit alles von Anfang an in trockenen Tüchern ist. Wenn man eine neue Idee öffentlich macht, macht man sich auch leicht angreifbar, wenn man einen existenziellen Fehler macht oder auf Details nicht achtet. Dies wollten wir natürlich tunlichst vermeiden, denn die Künstler, wie auch die Firmen, sollen sich bei Artist Angel natürlich gut aufgehoben fühlen, wenn sie sich an uns wenden. Ich bin auch stolz, dass wir zum Beispiel mit dem Anwalt Jan Kamp einen super  Musikanwalt mit im Boot haben, der „unsere“ Künstler auch in Musik- und Vertragsfragen unterstützen kann. 

Wie muss man sich das praktisch vorstellen? Wer bringt Künstler und Wirtschaft zusammen und wie läuft das dann ganz konkret ab? 

Williams: Wir haben auf der Website www.artistangel.de zwei Formulare hinterlegt: Eines, auf der sich Firmen eintragen können und eins, auf dem sich die Künstler mit ihren Skills und Talenten eintragen können. Die Datenbank gleicht dann im Hintergrund die jeweiligen Eintragungen ab und wir schicken den Vorschlag an den Künstler. Natürlich alles unter Einhaltung des Datenschutzes. Vielleicht wird es in Zukunft auch mal eine App dafür geben. Wir sehen uns auch nicht als Arbeitsvermittler – wir stellen nur den Kontakt der Firmen und den Künstlern her.

 Mit einem Video machen und machten Sie Werbung für die Artist Angel? Welche Werbeformen haben Sie sonst noch genutzt?

Williams: Ziemlich zeitgleich mit der Initiative Artist Angel ist mir die Idee zu dem Song „Sag mir wann“ gekommen, den ich mit meiner Band ausgearbeitet und im Sound Studio Saar produziert habe. Wir hatten ein Riesen-Glück, dass Monika Liegmann vom Saarländischen Staatstheater gleich so begeistert war, dass sie uns für einen Tag das komplette Theater mit ihren Technikern zur Verfügung gestellt hat, um das Musikvideo mit dem Kameramann Michael Schorlepp dort zu drehen, was uns natürlich schon eine gewisse Aufmerksamkeit gebracht hat. Ansonsten nutzen wir derzeit in erster Linie Facebook, um vor allem die Künstler zu erreichen. Dort haben wir eine eigene Seite für Artist Angel angelegt und wir wachsen gerade Tag für Tag.

Gab es denn auch bereits Vermittlungen, die vielleicht ein dauerhaftes Wechseln zur Folge hatten? 

Williams: Natürlich ist es kein Kriterium, dass eine Anstellung, die über uns vermittelt wurde, befristet sein muss. Dies liegt alleinig in der Hand der Künstler beziehungsweise der Firmen. Wenn es auf beiden Seiten passt, kann man die Zusammenarbeit natürlich beliebig verlängern oder jederzeit wiederholen, wenn es zum Beispiel wieder „schlechtere Monate“ seitens der Künstler gibt. Ich kann anhand meines Beispiels sagen, dass mein Redaktionsjob auch ursprünglich nur für drei Monate angedacht war, wir den Vertrag allerdings auf beiden Seiten gerne verlängert haben.

 Von wo überall kommen Firmen und Künstler?

Williams: Uns war von Anfang an klar, dass wir diese Initiative nicht nur aufs Saarland beschränken können, da es Künstler in ganz Deutschland, wenn nicht sogar weltweit, betrifft. Von daher kommen die Anfragen auch aus ganz Deutschland. 

Welche Wirtschaftsformen und welche Kunstformen auf der anderen Seite überwiegen?

 Williams: Was derzeit überwiegt, können wir ebenfalls schwer sagen, da wir aufgrund der Kürze der Zeit noch keine repräsentativen Aussagen tätigen können. Was ich sagen kann, ist, dass wohl auch das Hotel- und Gastronomiegewerbe momentan händeringend nach Mitarbeitern sucht. Das ist auffällig!

 Vermitteln Artist Angel nur oder gibt es im Anschluss dann auch noch eine weitere Betreuung? Kontrolle beispielsweise, dass die Arbeit auch korrekt bezahlt wird.

Williams: Wir sehen Artist Angel in der Rolle des Vermittlers. Künstler und Firmen können sich an uns wenden und wir bringen diese dann zusammen. Natürlich prüfen wir die Angebote im Vorfeld, aber wenn wir noch eine Betreuung im Nachgang anstreben würden, würde das den Rahmen sprengen. Allerdings würden wir natürlich dementsprechend handeln, wenn wir negatives Feedback zu einer Vermittlung bekämen.

 Zurzeit ist für Künstler ja wieder der Live-Auftritt möglich. Gibt es trotzdem noch weiter Nachfrage?

Williams: Es ist richtig, dass es wieder langsam los geht mit Live-Auftritten und Publikum. Aber bis sich die komplette Branche von Corona erholt hat, wird es noch lange dauern. Man übersieht als Zuschauer oft den berühmten Rattenschwanz, den ein einzelner Künstler bei einem Auftritt mit sich zieht: Da sind die Musiker, die Veranstalter, die Techniker, die Roadies und viele mehr, um diesen Auftritt überhaupt möglich zu machen. Und jeder von ihnen leidet unter der derzeitigen Situation. Da werden noch viele dankbar sein, wenn wir ihnen mit Artist Angel eine Möglichkeit bieten, die finanziellen Schäden etwas abzufedern. Auch nach Corona wird es immer wieder Situationen geben, in denen Künstlern geholfen werden muss. Ich glaube, dass Corona da nur einen Spot auf eine ohnehin schon unterversorgte Branche gerichtet hat.

 Wie soll es mit Artist Angel weitergehen?

Williams: Im ersten Schritt möchten wir, dass möglichst viele Künstler und viele Firmen von unserer Initiative erfahren, damit wir auch vielen von ihnen helfen können. Im zweiten Schritt soll Artist Angel Künstlern als generelle Anlaufstelle dienen, wenn sie Fragen haben oder Unterstützung im Musikbereich brauchen. Das Musikbusiness ist ja bekanntlich ein Haifischbecken und ich finde, es ist einfach ein schöner Gedanke, dass Artist Angel eine Anlaufstelle ist, bei der man kollegial Hand in Hand agiert – und nicht gegeneinander, wie es leider so oft der Fall in unserer Branche ist.

 Und wie sehen Ihre ganz persönlichen Planungen aus? 

Williams: Die Zeit in der Pandemie hat mich, trotz allem oder gerade deshalb, unglaublich zu neuen Songs inspiriert. Wir planen derzeit ein neues Album und Henning Wehland hat angeboten, dass er uns musikalisch unterstützt. Da bin ich jetzt schon sehr gespannt auf die Zusammenarbeit, auf das, was da noch so auf uns wartet und natürlich wieder auf das erste Live-Konzert mit meiner Band. Ich will die Pandemie sicher nicht klein reden und auch ich hatte meine dunklen Tage, an denen ich alles, sogar meine Musik, angezweifelt habe. Aber ich hab mir fest vorgenommen, gestärkt aus der ganzen Sache rauszukommen. Und vielleicht passiert das ja mit einem neuen Album und ganz neuen Wegen, die wir einschlagen!

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