Was kommt nach dem Kohlenhund? „Es war eigentlich Schicksalsergebenheit“

Der Saarlouiser Schriftsteller Andreas Drescher über seine Anfänge und das Leben nach dem Buch „Die Rückkehr meines linken Armes“.

 Der Saarlouiser Schriftsteller Andreas Drescher

Der Saarlouiser Schriftsteller Andreas Drescher

Foto: Drescher

Herr Drescher, „Die Rückkehr meines linken Armes“ wurde vom Publikum gut aufgenommen. Wie haben Sie das erlebt?

Drescher Es war unglaublich beglückend, wie gut das Buch angenommen wurde. Besonders bei den Buchvorstellungen in Saarlouis und Schwalbach mit 110, 120 Leuten. Der Hammer! Da saßen viele, die das auch lesen wollten, was ich fabriziert habe

.Und, haben sie den Roman gelesen oder ihn nur ins Regal gestellt?

Drescher Das ist ja das Gute, wenn man lokal bekannt ist. Dann begegnen einem die eigenen Leser. Wenn einer deutschlandweit unterwegs ist, kennt einen ja möglicherweise noch nicht mal jemand in der eigenen Stadt. Mir sind hier natürlich viele Leute über den Weg gelaufen, die sagten: Also mit diesem oder jenem konnte ich nichts anfangen. Es war erstaunlich, dass manche andere dann von derselben Erzählung sagten, sie habe sie richtig berührt. Die Texte polarisieren also ein bisschen. Also haben sie gelesen, vielleicht nicht immer das ganze Buch, aber doch einzelne Erzählungen, so ist das Buch ja auch angelegt, als Lesebuch.

Wie sah es überregional aus?

Drescher Es gab gute Besprechungen. Sehr, sehr gut besprochen hat es Konstantin Ames aus Berlin, der selbst den Lyrikpreis Meran gewonnen hat. Er ist eigentlich für seine sehr harschen Urteile bekannt, dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn ihm etwas nicht gefällt. Umso erfreuter war ich, wie gut er den „linken Arm“ fand.

Hat Sie die überregionale Resonanz überrascht?

Drescher Ich hatte gedacht, noch ein bisschen länger aufbauen zu müssen, bis das gelingt.

Fühlt sich das Schriftsteller-Dasein jetzt anders an?

Drescher Die spontane Antwort: nein. Ich versuche, so gute Texte hinzukriegen wie ich kann. Ich bin in diese Art zu schreiben erst spät reingewachsen. Ich bin eigentlich mehrere Autoren. Mit 15 war ich Lyriker, mit 16 schon vertreten in der ersten Anthologie des saarländischen Schriftstellerverbandes. Mein Studium bin ich als schriftstellerische Selbstausbildung angegangen. Das war hartes Brot zu kauen. Denn gerade in der Germanistik hatte ich die Texte vor mir, die mir gezeigt haben, wie es aussieht gut zu schreiben. Dann zu erleben, dass das, was ich in den ersten Jahren selber habe zu Papier bringen können, so entschieden, so schmerzlich entschieden unter diesem Niveau war.

Kein Gedanke an aufgeben, um, sagen wir, Steuerberater zu werden?

Drescher Ich hatte frühzeitig den Eindruck, dass alles das, was ich sonst hätte machen können, noch schlechter gewesen wäre als meine katastrophalen ersten schriftstellerischen Gehversuche.

Es lebe das Selbstvertrauen.

Drescher Nein. Eigentlich Schicksalsergebenheit. Mir blieb einfach gar nichts anders übrig, als Autor zu werden. Um die 20 habe ich begonnen, experimentelle Prosa zu schreiben. Das war noch sehr weit weg vom späteren Linken Arm. Auf diesen Weg brachte mich ein Initiationserlebnis mit meiner Großmutter. Nach ihrem schweren Herzinfarkt wurde mir schlagartig klar, es wird einen Tag geben, an dem alles das, was sie mir bis zu diesem Tag erzählt hat, für immer erzählt sein wird, und das, was sie mir bis zu diesem Tag nicht erzählt hat, wird für immer nicht erzählt sein. Das habe ich nicht als Schriftsteller, sondern bloß als Enkel gesammelt. Es wurde für mich aber zu einer Art Selbstläufer. Daraus wurde dann der Kohlenhund, veröffentlicht 2018.

Und nun, nach dem Linken Arm?

Drescher Ich arbeite an der Schaumschwimmerin, das ist die Großmuttergeschichte zum Kohlenhund, in dem es ja um den Großvater ging. Und dann ist da noch Otano. Ich habe die Geschichte einer hoch betagten Nachbarin von mir kennengelernt, die ihre Kindheit und Jugend in China verbracht hat. Wenn einer der chinesischen Angestellten ihres Vaters einen deutschen Käse vom Hafen abholen musste, band er ihn in ein Taschentuch und das hinten an eine Bohnenstange, die er sich über die Schulter legte. Das fand ich so faszinierend, dass ich angefangen habe, an einem Roman darüber zu arbeiten. Der Arbeitstitel Otano leitet sich von der japanischen Mutter der alten Dame ab. Bei meiner Recherche zu deutschsprachigen Menschen in China Anfang des 20. Jahrhunderts stieß ich auf Ignaz Trebitsch-Lincoln mit einem Lebenslauf, den man nichtmal erfinden könnte.

Nämlich?

Drescher Trebitsch, 1879 in Ungarn geboren, stahl als junger Mann die Uhr seines Vaters und lief fort, wurde Missionar in Kanada, ging nach Großbritannien, ließ sich dort noch als Ungar ins Unterhaus wählen, errichtete ein betrügerisches Schneeball-System auf dem Balkan, wurde bald auch in Großbritannien gesucht, hier wegen Urkundenfälschung, kam auf die Idee, sich vom Geheimdienst schützen zu lassen und war schließlich Doppelagent zwischen Deutschland und Großbritannien. Er musste in die USA fliehen, wurde von Pinkerton gefasst und verkaufte noch aus dem Gefängnis heraus die Rechte an seiner Autobiographie, um sie kurz zuvor durch einen Ausbruch zu promoten. Nach dem Krieg brach er mit England, nahm 1920 am antidemokratischen Kapp-Putsch in Deutschland teil, wich nach einer Reise um die ganze Welt nach China aus endete 1943 als lamaistischer Pseudo-Guru in Shanghai. Dieser Trebitsch also ist mir in den Weg getreten und hat ein eigenes Buch gefordert.

Was er auch bekommt?

Drescher Es blieb mir nichts anderes übrig als die Arbeit am Roman Otano zu unterbrechen, weil Trebitsch das Buch so penetrant gefordert hat. So entstand das Hörbuch „Complicius Complicissimus“, das ich bei der Medienagentur Kreutzer, die sehr geholfen hat, selbst eingesprochen habe. Mich hat gerade Trebitschs Rolle in dem Putsch interessiert, und ich wollte zur Buchmesse in Leipzig genau 100 Jahre nach dem ersten Tag des Putsches, eine Performance organisieren. Am Tag darauf wollte ich mit Medienleuten in einem Chevrolet de Luxe von 1931 und in der Uniform eines der Kapp-Putschisten die Putsch-Örtlichkeiten in Berlin abfahren und überall ein bisschen lesen. Da sowohl die Buchmesse wie die Performance in der Universität der Künste in Berlin ausgefallen ist, haben die Medienagentur Kreutzer und ich in einer Scheune eines alten Freundes in Fürweiler die Performance gedreht. Daraus wurde der Film, der wie das Hörbuch „Complicius Complicissimus“ über Trebitsch auf meiner Website zu sehen ist: www.edition-abel.de

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