Bratschistin Tabea Zimmermann Spüren, was ein Musikstück braucht

Saarbrücken · Tabea Zimmermann war 1987 die jüngste Professorin Deutschlands – an der Musikhochschule in Saarbrücken, wo sie auch studiert hat. Heute ist die Bratschistin international gefragt.

 Tabea Zimmermann und ihre Bratsche, die sie manchmal zum Singen bringt.

Tabea Zimmermann und ihre Bratsche, die sie manchmal zum Singen bringt.

Foto: Marco Borggreve

Ein Ton aus dem Nichts, der erst mit dem beschleunigten Bogenstrich an Leben gewinnt. Ein leichtes Vibrato, dann wieder die Zurücknahme, ehe die Melodie mehr Körper und eine sinnlichere Aus­strahlung erhält. Die Ária (Cantilena) aus den „Bachianas Brasileiras“ komponierte Heitor Villa-Lobos für Sopran und ein Celloensemble. Auf der CD „Cantilena“ (harmonia mundi, 2020) übernimmt Tabea Zimmermann auf der Viola alleine die Melodie und lässt ihr Instrument singen. Ihr Bratschenspiel ist so flexibel wie eine menschliche Stimme.

Eigentlich steht die Bratsche als Instrument nicht gerade im Zentrum der Aufmerksamkeit. Innerhalb der Streichinstrumente befindet sie sich zwischen der strahlenden Violine und dem sonoren, dunklen Cello. Im Orchester ist das Instrument eine klassische Mittelstimme, die eher verbindet als sich exponiert. Meistens fängt man als Kind auf der Violine an, um dann später irgendwann zur Viola zu wechseln.

Tabea Zimmermann (Jahrgang 1966) wollte zwar an der Lahrer Musikschule im Badischen zum Geigenlehrer ihrer älteren Schwester, aber sie begann mit Drei gleich auf der Bratsche. „Mein Lehrer Dietmar Mantel hatte sehr hohe Ansprüche an Klangqualität, Intonation und Flexibilität, auch an das gemeinsame Musizieren. In der Lahrer Musikschule wurde damals viel Kammermusik praktiziert – ein einmaliges Konzept“, sagt sie im Gespräch. Bereits mit Fünf spielte sie mit den beiden älteren Schwestern im Streichtrio. Als Teenager kamen alle drei in Vorklassen der Freiburger Musikhochschule. Tabea Zimmermann war damals 13. Ihr Lehrer wurde der renommierte Bratschenprofessor Ulrich Koch, Solobratschist des damaligen SWF Sinfonieorchesters, der sie früh zu Wettbewerben nach Genf (1982) und Paris (1983) schickte. Die dort erzielten ersten Preise bildeten den Grundstein ihrer internationalen Karriere.

Zurückblickend ist Tabea Zimmermann, viertes von sechs Kindern einer sehr religiösen Lahrer Familie, einerseits dankbar für die hervorragende musikalische Ausbildung in ihrer Kindheit und die intensive Förderung durch die Eltern. Andererseits empfand sie die Strenge auch als Belastung. „Ich habe mich in meiner ganzen Kindheit und Jugend eher als Außenseiter gefühlt. Mein Interesse für klassische Musik war auf dem Schulhof nicht gerade kontaktfördernd. Außerdem fühlte ich mich durch die strenge religiöse Erziehung eher ausgegrenzt. Ich habe aber sehr früh die Musik für mich entdeckt, auch als Kraftquelle. Beim Musizieren selbst konnte ich mich aber immer in eine andere Welt hineindenken. Das ist mir bis heute erhalten geblieben. Wenn es mir schlecht geht, muss man mir nur eine Bratsche in die Hand geben.“

Früh verließ sie die Heimat, um unabhängig zu werden. Mit 21 Jahren wurde sie an der Hochschule für Musik Saar (HfM) in Saarbrücken zur jüngsten Professorin Deutschlands berufen. 1994 übernahm sie die Bratschenklasse an der Musikhochschule Frankfurt. Seit 2002 ist sie Professorin an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin, wo sie versucht, ihre Studentinnen und Studenten individuell zu fördern. Was macht ihr Spaß am Unterrichten? „Dass ich die Freude, die ich selbst an der Musik habe, weitergeben kann. Wenn man anhand der Partitur ein fiktives Gespräch mit dem Komponisten führt und sich fragt, was das Stück braucht – das finde ich spannend.“

Am Klassikbetrieb kritisiert sie die Kommerzialisierung – Musik ist für sie keine Unterhaltung. „Alles, was in diese Richtung geht, hat mich schon immer abgestoßen. Ich finde die Situation auch schwieriger als früher, da die Grenzen unschärfer sind“, sagt Zimmermann. Anfang des Jahres wurde der Mutter von drei Kindern der mit 250 000 Euro dotierte Ernst-von-Siemens-Preis zuerkannt, der bedeutendste Klassik-Preis überhaupt. Die Jury lobt „ihr unbestechliches Musizieren, ihre authentische, persönliche Haltung und künstlerische Integrität“, den „kompromisslosen Qualitätsanspruch“ und ihren Einsatz für zeitgenössische Musik. Auf der aktuellen CD „Solo II“ löst sie diesen Anspruch ein wiederholtes Mal ein, indem sie zwei ursprünglich für Solocello geschriebene Suiten von Johann Sebastian Bach mit kurzen Stücken von György Kurtág kombiniert – darunter auch eine Hommage an sie namens „...eine Blume für Tabea...“. Tabea Zimmermann spielt die nur eine Minute dauernde Miniatur mit zartem Bogen und leuchtenden Flageoletts im Flüsterton. Zerbrechlich und kostbar.

Tabea Zimmermann: Solo II, Bach und Kurtág (Myrios classics).

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