Interview mit SPD-Vize Eugen Roth „Wir sollten nicht die Nerven verlieren“

SPD-Landesvize Eugen Roth warnt seine Partei vor einem schnellen Ausstieg aus der großen Koalition im Bund.

 Eugen Roth (61) ist stellvertretender Partei- und Fraktionschef der SPD im Saarland und Vize des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland.

Eugen Roth (61) ist stellvertretender Partei- und Fraktionschef der SPD im Saarland und Vize des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland.

Foto: BeckerBredel

Herr Roth, wie würde derzeit eine Mitgliederbefragung über die Fortsetzung der großen Koalition im Bund ausgehen?

ROTH Da bin ich mir nicht sicher. Nach der Europawahl ist die Situation natürlich aufgeheizt, da sind Reaktionen auch emotionaler. Deshalb ist es richtig, was Anke Rehlinger gesagt hat: Keine Schnellschüsse! Wir wussten, als wir in diese große Koalition hineingezogen wurden – die Republik hat gerufen: Verantwortung übernehmen! –, dass das alles nicht einfach wird. Leider wird viel Gutes kaum beachtet: Einige SPD-Themen sind in der Groko doch ganz gut abgearbeitet werden. Ich wäre aber dafür, die Mitglieder bei der Wahl der neuen Parteiführung sehr viel stärker einzubinden als bisher.

Wenn die SPD noch länger in der Koalition bleibt, geht es in den Umfragen noch weiter begab.

ROTH Die Frage ist ja, ob allein die Koalition daran schuld ist oder andere Dinge. Wir müssen feststellen, dass die Sozialdemokratie auch im europäischen Umfeld im schweren Fahrwasser ist. Sich damit froh zu machen, hätten wir die Koalition nicht, würde es uns automatisch besser gehen – über diese Brücke gehe ich nicht. Unser großer Landesverband Nordrhein-Westfalen hat seine Landtagswahl 2017 ganz alleine verloren. Die Dolchstoß-Legende, wenn der Bund nicht gewesen wäre, hätten wir die Wahl gewonnen, halte ich für abenteuerlich und sie verkleistert die eigenen Probleme. Da machen sich einige selbst froh.

Im Herbst soll es ja eine Revision des Koalitionsvertrages geben. Wenn die SPD dann immer noch so schlecht dasteht wie jetzt, wird das dann das Ende der Koalition sein?

ROTH Wir sollten das nicht taktisch entscheiden, sondern an Inhalten festmachen. Sprunghafte Politik nach Umfragelage kann nicht gut sein für die SPD. Es ist entlarvend, dass die Union sagt: Wir bieten Stabilität. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn die SPD Knall auf Fall sagen würde, wir verlassen die Koalition, liefern wir die Vorlage für das aufgesetzte Stabilitätsgeheul der Union. Das hielte ich für dumm. Wir sollten ordentlich über unsere gemeinsamen Erfolge reden. Wenn ich „gemeinsam“ sage, beziehe ich die Union mit ein. Solange wir mit denen regieren, sollten wir auch gut darüber reden, was wir durchsetzen. Der Olaf Scholz bekommt jetzt eine Mindestbesteuerung auf internationaler Ebene hin. Das finde ich klasse, da kann ich keine Opposition in der Regierung dagegen machen. Es ist erstaunlich, dass auf der Bundesebene solche Binsenweisheiten nicht ziehen.

Aber die Stimmung in Ihrer Partei scheint eine völlig andere zu sein.

ROTH Wir haben 2018 die Mitglieder befragt, ob wir in die große Koalition gehen sollen. Verhalten wir uns doch genauso, wie unsere Mitglieder bei der Befragung entschieden haben, und fangen jetzt nicht an, wegen Umfragen, die zugegebenermaßen dramatisch sind, die Nerven zu verlieren. Bei allen Schwierigkeiten: Wir haben auf Zeit einen Vertrag geschlossen. Und wir haben  eine Revisionsklausel in den Koalitionsvertrag geschrieben, um zu schauen, ob wir den Vertrag auch ordentlich umgesetzt sehen. Da finde ich, sollten wir die Grundrente nochmal lautstark einfordern. Meine Empfehlung: inhaltlich liefern.

Würden Sie sagen, die SPD kann sich in der Regierung erneuern?

ROTH Im Prinzip ja. Es gibt Länder, in denen die SPD den Turn-around hinbekommt. Nehmen sie mal die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz, die arbeitet äußerst geräuschlos. Auch die Saar SPD kann ihren Kurs halten. Ich will die Koalition im Bund nicht schöner reden, als sie ist. Aber ich glaube, wenn die SPD jetzt taktisch und übereilt aus der Regierung herausginge, läuft sie Gefahr, Vertrauen in unsere Regierungsfähigkeit zu verspielen. Wir müssen den Wählern noch erklären können, dass wir auch umsetzen wollen, wenn sie uns wählen. Und das geht nur in der Regierung.

Wer ist Ihr Wunschkandidat für den Parteivorsitz?

ROTH Meine Präferenz wird sich nicht erfüllen, das wäre Malu Dreyer, die hat aber immer klar gesagt, sie macht das nicht.

Der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert?

ROTH Ich glaube gar nicht, dass er das will. Aber ich finde, die Mitglieder sollen entscheiden.

Mit welchen Inhalten könnte die SPD nach Ihrer Ansicht stärker punkten?

ROTH Eine der zentralen Aufgaben in der nächsten Zeit wird die Gestaltung von Ökologie und Ökonomie, von Umwelt und Industrie. Ich habe noch keinen gefunden, der gegen Umweltschutz ist – aber klüger als es die Grünen machen: Nicht einfach koste es, was es wolle. Wenn die Industrie zusammenkracht, können wir uns vieles abschminken, zum Beispiel Investitionen in Bildung und Gerechtigkeitsfragen. Klimaschutz muss auch sozial gestaltet werden. Wenn ich jetzt eine Neuwahl hätte und bekomme Grüne zweistellig in die Regierungsverantwortung, dann glaube ich nicht daran, dass das noch eine Rolle spielt, dann fallen viele Arbeitnehmer schnell hinten runter. Das ist ein Spannungsfeld, wo ich Union und SPD besonders stark sehe. Darüber wird zu meiner völligen Überraschung aber kaum geredet.

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