Kino-Kritik: Lars Eidinger als abgestürzter Pilot Vom Schein und Sein im Familienleben

✮✮✮ „All my loving“ von Edward Berger ist ein als Triptychon angelegtes Familiendrama.

 Pilot Stefan (Lars Eidinger) definiert sich nur über seinen Beruf und fällt in eine Krise, als er diesen zu verlieren droht.

Pilot Stefan (Lars Eidinger) definiert sich nur über seinen Beruf und fällt in eine Krise, als er diesen zu verlieren droht.

Foto: Port au Prince

Nur kurz kommen die drei Geschwister zu Beginn des Films in einem Edel-Restaurant zusammen, das der ältere Bruder Stefan (Lars Eidinger) für sie ausgesucht hat.

Der Pilot kennt sich aus in der Welt und zeigt das auch nur allzu gern. Wenn der jüngere Tobias (Hans Löw) an der Speisekarte verzweifelt, bestellt er einfach für ihn mit. Schwester Julia (Nele Mueller-Stöfen) will sich nicht lange aufhalten. Rocco, der kranke Hund, wartet im Auto. Anlass der Zusammenkunft sind die Eltern. Weil Julia morgen mit ihrem Mann nach Turin fährt, Stefan sich plötzlich und unerwartet um Rocco kümmern will, bleibt die Elternbetreuung wieder einmal an Tobias hängen. Keine fünf Minuten dauert es, bis die Drei wieder auseinandergehen und von da an ist jedes der Geschwister auf sich allein gestellt.

Als Triptychon hat Edward Berger sein Familienporträt angelegt, in dem die beiden Brüdern und die Schwester ganz unterschiedliche Krisen durchleben. Stefan hat sich auch nach drei Monaten nicht von seinem Hörsturz erholt – der Arzt regt eine Umschulung an. Aber Stefan braucht seinen Pilotenberuf, auch wegen des Prestiges. Trotz Krankschreibung streift er weiterhin die Kapitänsuniform über, um Frauen abzuschleppen. Schwester Julia gönnt sich mit ihrem Mann Christian (Godehard Giese) derweil eine Städtereise nach Turin, wo sie einen Straßenhund mit ins Hotel nimmt und sich zunehmend in eine neurotische Übermutterung des Tieres hineinsteigert. Währenddessen reist Tobias zu den Eltern. Aber der halsstarrige Vater hat nur Verachtung für den Sohn über, der mit Ende Dreißig immer noch an seiner Diplomarbeit bastelt und sich um seine Kinder kümmert, während die Frau das Geld nach Hause bringt.

Alle drei Kapitel bergen genug dramatischen Stoff für einen abendfüllenden Spielfilm, wachsen jedoch nicht wirklich zusammen, weil in der aneinandergereihten Erzählform die geschwisterlichen Beziehungen nicht heraus gearbeitet werden können. Dieses narrative Manko wird jedoch durch eine punktgenaue, sensible Zeichnung der Charaktere und herausragende schauspielerische Leistungen wieder wettgemacht. Lars Eidinger entlarvt den langsam in sich zusammen sinkenden Pseudo-Lebemann fein nuanciert und ohne Häme gegenüber der Figur. Nele Mueller-Stöfen spielt eindrucksvoll eine Mutter, die von ihren Verlustschmerzen fast in den Wahnsinn getrieben wird. Hans Löw ist absolut glaubwürdig als Sohn und Vater, der Verantwortung übernimmt und sich darin zunehmend selbst verliert.

Deutschland 2019, 116 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Edward Berger; Buch: Berger, Nele Mueller-Stöfen; Kamera: Philipp Harberlandt, Jens Harant; Musik: Volker Bertelmann; Besetzung: Lars Eidinger, Nele Mueller-Stöfen, Hans Löw, Manfred ­Zapatka.

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