Kino-Kritik Schmerzhaft und doch berührend

✮✮✮✮ „Ray & Liz“ von Richard Billingham: Eine Kindheit von ramponierter Schönheit.

 Im Hause von Liz (hier Ella Smith) und Ray geht es nicht gerade zimperlich zu.

Im Hause von Liz (hier Ella Smith) und Ray geht es nicht gerade zimperlich zu.

Foto: Rapid Eye Movies

„Ray‘s a Laugh“ hieß die Serie, mit der der englische Fotograf Richard Billingham Ende der 1990er Jahre bekannt wurde. Die Bilder waren hart, zärtlich, schmutzig, komisch und traurig zugleich. „Ray‘s a Laugh“, ursprünglich in Buchform veröffentlicht, zeigte die Eltern des Künstlers, Ray und Liz, in ihrer heruntergekommenen und mit billigem Nippes ausgestatteten Wohnung im verarmten Black Country in Birmingham.

Ray, ein hagerer Alkoholiker mit gerötetem Gesicht im freien Fall, die übergewichtige Kettenraucherin Liz mit tätowierten Armen in ein Puzzle vertieft. Tapeten, die sich von den Wänden lösen, alte Matratzen, Pappkartons. Billinghams Gespür und Sensibilität für Bildkompositionen und Lichtstimmungen, für das Zusammenspiel von Figuren, Raum und Dekor, gingen über den rohen, grotesken Sozialrealismus weit hinaus, der in den Bildern gleichfalls angelegt war. Sie konnten einen Betrachter unmöglich unberührt lassen. Die Fotografien sind der visuelle Ausgangspunkt von Billinghams Spielfilmdebüt „Ray & Liz“. Es sind Erinnerungen an eine Kindheit in der Ära von Margaret Thatcher. Billingham bleibt eine Randfigur, die sich aus dem Bild zurückzieht, während sein jüngerer Bruder Jason im Lauf des Films ins Zentrum rückt. Von einem erzählerischen Rahmen um Billinghams inzwischen allein lebenden Vater aus driftet die Erzählung in zwei Episoden in Kindheit und Jugend zurück.

Ray und Liz arbeiten nicht, ein Umstand, den der Film thematisch nicht konturiert. Im Zentrum der ersten „Episode“ steht ein durch Alkoholkonsum entgleister Nachmittag, an dem Rays Bruder den kleinen Jason hüten soll. In der zweiten Episode leben die Billinghams in einer Sozialbausiedlung; die Verwahrlosung ist weiter vorangeschritten. Es ist ein ganz und gar erbärmliches Leben. Jason ist weitgehend sich selbst überlassen. Als er für drei Tage verschwindet, fällt das den Eltern nicht einmal auf.

Regisseur und Autor Billingham spart die Vernachlässigung nicht aus, auch nicht Lethargie, Stumpf- und Grobheiten. Sein Film ist dennoch frei von Vorwurf und Anklage – der Blick auf die Eltern ist bei allen Ambivalenzen ein liebevoller, bedingungslos empathischer Blick. Jedes Detail wird von ihm mit der gleichen Aufmerksamkeit bedacht.

Seiner Kindheit, um die ihn niemand beneidet, trotzt Billingham eine ramponierte Schönheit ab. „Ray & Liz“ ist ein manchmal schmerzhafter Film. Doch seine Geste ist eine immer zugewandte Berührung.

GB 2018, 108 Min.; Filmhaus (Sb); Regie und Buch: Richard Billingham; Kamera: Daniel Landin; Besetzung: Ella Smith, Deirdre Kelly,  Justin Sallinger, Patrick Romer, Joshua Millard_Lloyd.

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