Neustart ★★★★ „Bohnenstange“ von Kantemir Balagow

Leningrad im Herbst 1945 ist eine graue, vom Krieg zerschundene Stadt. Das schlägt sich vor allem in den Gesichtern der Menschen nieder. Hier lebt die Krankenschwester Iya, die nach traumatischen Kriegserlebnissen immer wieder in Katatonie verfällt.

 Die Freundinnen Iya und Masha.   Foto: Eksystent Filmverleih

Die Freundinnen Iya und Masha. Foto: Eksystent Filmverleih

Foto: eksystent film/Liana Mukhamedzyanova

Iya (Viktoria Miroschnitschenko, die aussieht wie Tilda Swinton in den 90er Jahren) kümmert sich um den kleinen Sohn ihrer Freundin Masha. Als auch die endlich aus dem Krieg zurückkehren kann, erwartet sie ein zweifacher Schock. Ihr Junge kam bei einem Unfall ums Leben, die Chance auf ein zweites Kind ist Masha (Wasilisa Pereligina) aus körperlichen Gründen verwehrt. Dann fasst sie einen Entschluss – Iya soll sich schwängern lassen und ein Kind austragen.

Ein Festivalliebling ist dieser Film, der 2019 in Cannes in der renommierten Nebenreihe „Un Certain Regard“ den Regiepreis erringen konnte. „Bohnenstange“ (★★★★), im Original „Dylda“, verrät die rauschhafte, symbolbehaftete Bildsprache Alexander Sokurows, der den beim Dreh erst 28-jährigen Regisseur Kantemir Balagow ausbildete.

Der über zweistündige Film knüpft an einen seit ein paar Jahren knospenden europäischen Autorenfilmstil an, der mit beinah surreal anmutenden Bildkompositionen, wuchtig auf die Leinwand geworfenen Signalfarben und intensiven Schauspielerleistungen Akzente setzt. Das amerikanische Kino nimmt sich dagegen im Vergleich meist gedanklich und gestalterisch bestürzend fad aus. Sinnlichkeit, Tiefgang, Provokation – Europa hat Anschluss an sein Kino der 60er Jahre gefunden.

Rus 2019; 136 Min., Filmhaus (Sb); Regie: Kantemir Balagow; Buch: K. Balagow, A. Terechow; Kamera: Xenija Sereda; Musik: Evgueni Galperine; Besetzung: Viktoria Miroshnitchenko, Vasilisa Perelygina, Andrey Bykov, Igor Shirokov.

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