Ohne Radlerhose geht nichts

Saarbrücken · Ob im Tennis, beim American Football oder im Rennsport: Marotten, Aberglaube oder persönliche Rituale – so lächerlich und lustig sie manchmal auf Außenstehende wirken: Es gibt sie – und das nicht ohne Grund.

 Mit Radlerhose geht bei Sammer Mozain (unten) einiges – ohne geht nichts. Warum das so ist, kann der Fußballer selbst nicht so genau erklären: „Es war schon immer so“. Foto: Rolf Ruppenthal

Mit Radlerhose geht bei Sammer Mozain (unten) einiges – ohne geht nichts. Warum das so ist, kann der Fußballer selbst nicht so genau erklären: „Es war schon immer so“. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

Schrullige Rituale, Marotten oder von Aberglaube getriebene Handlungen sind in der saarländischen Sportwelt keine Seltenheit. American Footballer sind bekannt für große Gesten. Individuell nach einem Touchdown ebenso wie als Team. Dabei dominieren nicht nur laute Töne: "Letztes Jahr haben wir vor den Ansprachen der Trainer zusammen gebetet", sagt Paul Motzki, Teammanager und früherer Spieler des Bundesligist Saarland Hurricanes. Hinzu kommen individuelle Rituale vor oder während eines Spiels: "Manche tragen zu den Spielen immer dieselben Kleidungsstücke, andere essen vorher jedes Mal das Gleiche oder duschen vor dem Spiel - warum auch immer", berichtet Motzki.

Sammer Mozain duscht erst nach dem Spiel. Der Fußballer des Oberligisten SV Röchling Völklingen hat dafür eine andere Vorliebe - und zwar unter der Gürtellinie: "Wenn meine Radlerhose nicht da ist, spiele ich nicht", sagt er und klingt dabei trotz seines Lächelns durchaus ernst: "Die befindet sich normalerweise im Trikotkoffer. Wenn nicht, gibt es Ärger." Warum das so ist, weiß er selbst nicht: "Es war schon immer so, ich fühle mich damit wohler. Ich schneide immer diese integrierten Unterhosen aus den Trikothosen raus, weil die nerven."

"Ich ziehe immer meinen linken Handschuh zuerst an. Und ich steige immer von links ins Auto", berichtet Cedric Piro , Rennfahrer in der ADAC Formel 4. "Ich habe sonst einfach ein schlechtes Gefühl", gibt der 17-Jährige aus Heusweiler zu: "Einmal bin ich bei einem Testlauf rechts eingestiegen - und es ging schief", sagt Piro und erinnert dabei an das Model Derek Zoolander, die Hauptrolle des Films "Zoolander". Ein Running-Gag des Films ist die Tatsache, dass er einfach nicht linksherum drehen kann.

Mit hartem Sound stimmt sich Turner Thorsten Michels von der TG Saar auf Wettkämpfe ein. Vor seiner letzten Übung am Reck platziert er seine Badelatschen parallel neben den geplanten Landepunkt seines Abgangs. "So kann ich gleich reinschlüpfen, wenn alles glattgeht", erklärt er diese Maßnahme, die weniger mit Aberglaube als vielmehr mit einer Extra-Motivation zu tun hat: "Das Reck bildet als letztes Gerät den Abschluss eines Wettkampfs. Und mit den Schuhen daneben muss die Übung einfach gut durchlaufen." So ähnlich stellt sich auch ein früherer Gegner Michels‘ die Wirkung seines Rituals vor: "Vor seinem Einsatz am Pauschenpferd legte ein Turner unseres Gegners eine Mohrrübe unter das Gerät, damit das Pferd nicht so störrisch ist und ihn abwirft", erzählt er.

"Wenn ich auf der Bank sitze, muss alles immer gleich ablaufen", verrät Katharina Hobgarski, 18-jährige Tennisspielerin des TZ Sulzbachtal . "Der Schläger kommt auf die rechte Seite, die Flaschen stehen immer gleich, und wenn ich die Bank verlasse, muss alles wieder so stehen wie am Anfang. Das beruhigt mich einfach." Als Fan sind ihr die Ticks von Tennis-Superstar Rafael Nadal aufgefallen. Vor jedem Aufschlag berührt Nadal seine Ohren, Nase, Schultern und Hose in einer bestimmten Reihenfolge. In jeder Pause widmet er sich abwechselnd seinen zwei unterschiedlich temperierten Trinkflaschen und nimmt aus jeder nur einen Schluck, bevor er wieder zur anderen wechselt. Dann stellt er die Flaschen zwischen seine Beine mit dem Etikett in die gleiche Richtung ausgerichtet hintereinander auf den Boden. All das tut er immer und immer wieder. "Das, was Nadal vor jedem Aufschlag abzieht, geht gar nicht. Novak Djokovic tippt auch echt oft den Ball auf vor einem Aufschlag. Das nervt", gibt Hobgarski zu. Rituale und Routinen gibt es im Sport zuhauf. Sie reichen vom Abklatschen vor einem Wettkampf oder einem Spiel bis hin zu extravaganten Selbstinszenierungen wie der allseits bekannte Freistoß-Ritus des Fußballerstars Cristiano Ronaldo .

Die Wissenschaft sagt: Routinen sind gut. Gerade in Stresssituationen, in denen sich Sportler während eines Wettkampfes befinden, können sie Sicherheit bringen. Auf manchen Fußballfan wirkt das ewig gleiche Gehabe von Ronaldo auf Dauer langweilig und lächerlich - besonders, wenn der folgende Schuss kläglich an der gerade einmal 170 Zentimeter hohen Einmannmauer namens Philipp Lahm hängen bleibt, wie beim WM-Spiel zwischen Portugal und Deutschland (Endstand: 0:4) letzten Sommer. So gelingt in den meisten Situationen annähernd eine Wiederholbarkeit der Kunstschüsse, die selbst Weltstars wie Ronaldo nicht wie am Fließband produzieren können.

Zudem verschafft eine selbstbewusste Körperhaltung einem Akteur in Duell-Situationen wie beim Elfmeterschießen im Fußball einen Vorteil. Auch das ist wissenschaftlich belegt. Sportpsychologe Daniel Memmert, Leiter des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat sich mit diesen Themen beschäftigt. Er erklärte nach der Fußball-WM 2014 zur "Deutschen Welle": "Man muss Automatismen einstudieren. Man spricht dabei von mentalem Training. Es ist wichtig, um sich zu fokussieren, um die motorische Aktion, die hoch geübt ist, auch ablaufen zu lassen."

Außerdem helfe der vor allem im Fußball weitverbreitete Aberglaube : "In der Psychologie geht man davon aus, dass Selbstwirksamkeitsprozesse im Hintergrund mitschwingen", analysierte Memmert. Der Wissenschaftler ergänzte: "Man fühlt sich gut, man hat ein größeres Selbstbewusstsein, diese Aufgabe zu lösen, weil man weiß, dass man unterstützt wird, dass irgendetwas da ist, das einem positiv zusprechen kann. Aberglaube ist etwas, das man weiter im Fußball praktizieren sollte."

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