Medienschelte von Kirchhof

Saarbrücken · Als Strafe für falsche Berichterstattung sollten Medien den mit der betreffenden Ausgabe erwirtschafteten Umsatz für gemeinnützige Zwecke spenden: Der Heidelberger Jurist Paul Kirchhof hat dem aktuellen Journalismus die Leviten gelesen.

Seine Kritik ist ebenso nüchtern wie schonungslos: "Medien sorgen sich nicht um die Aufklärung des mündigen Bürgers, sondern nur um ihre Auflage." Natürlich ist Paul Kirchhofs These nicht neu, auch ist ihre Pauschalisierung fragwürdig; aber sie trifft sehr wohl einen wunden Punkt. Im Gegensatz zu dem Titel seines Vortrags ("Bürger und Medien in einer empörten Gesellschaft") sind die Ausführungen des ehemaligen Verfassungsrichters am Donnerstagabend in der Uni in Saarbrücken frei von Empörung. "Das ist kein Drama, sondern ein Befund", konzediert der 73-Jährige.

Am Anfang seiner Kritik steht die zur Alltäglichkeit gewordene "Bereitschaft zur Empörung". Spätestens seit dem Aufruf des französischen Alt-Linken Stéphane Hessel mit seinem gleichnamigen Bestseller-Essay "Empört Euch!" aus dem Jahr 2010 seien die Bürger "beauftragt, empört zu sein, und dafür einen Anlass zu suchen", so Kirchhof. Lediglich um der guten Unterhaltung willen gehe es darum, "dass jeder seinen täglichen Adrenalinausstoß hat". Und die Medien kultivierten diesen Empörungswillen. "Deswegen bin ich in ernsthafter Sorge um die Demokratie ", sagt der Jurist, der als Parteiloser zum Kompetenzteam von Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU ) bei der Bundestagswahl 2005 gehörte.

Der mündige Bürger sei als Souverän und Wähler einer Demokratie darauf angewiesen sei, gut informiert zu sein. Doch die Medien schere das nicht. Sie seien vielmehr - mit Blick auf Empörung und Auflage - daran interessiert, "immer wieder mal einen der Großen und Mächtigen vom Sockel zu stoßen". Kirchhofs Beispiele: Ex-Bundespräsident Christian Wulff (angeblich Vorteilsannahme), Ex-FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle (Dirndl-Affäre), Kiels Ex-Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (Kontroverse um Steuerfall). Diese seien nicht gestrauchelt und gestolpert, weil sie ihr Amt nicht ordnungsgemäß ausgeführt hätten, sondern weil sie (vermeintliche) persönliche Verfehlungen begingen. Kirchhof sieht darin eine "Entpolitisierung der Politik" sowie die "Politisierung des Privaten". Genährt werde dies von "überhöhten Erwartungen" an Politiker, die aber ebenso fehlbar seien wie jeder andere Mensch auch.

Was zu tun ist, steht für Kirchhof außer Frage: "Wir brauchen ein unaufgeregtes, realistisches Menschenbild." Das ist das eine. Das andere: "Wenn ein Medium nachweislich falsch oder verleumderisch berichtet hat, muss der gesamte Umsatz , der mit der betreffenden Ausgabe erwirtschaftet wurde, für gemeinnützige Zweck gespendet werden", fordert Kirchhof. Zudem müsse eine unabhängige Stiftung ins Leben gerufen werden, "die regelmäßig darüber informiert, wer richtig und wer falsch berichtet hat". Denn der Presserat, eine freiwillige Selbstkontrolle der Medien, verzeichne diesbezüglich "keine sensationellen Erfolge". Ziel aller Bemühungen müsse sein, dass der Bürger "Beurteilungsmaßstäbe jenseits von Empörungsreflexen" zurückgewinne.

Den Einwand bei der anschließenden Diskussion, dass Medien dem Gesetz der Wirtschaftlichkeit unterliegen und so auch auf "die Auflage" schielen müssten, lässt Kirchhof nicht gelten: "Natürlich will der Mensch unterhalten werden, und das soll er auch", sagt er. Aber was berichtet werde, müsse dennoch relevant, informativ und realitätsgetreu sein. Alles andere sei für die Demokratie "bedrohlich".

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