Freispruch sieben Jahre nach rechtskräftiger Verurteilung

Saarbrücken · Weil ihm sonst eine Haftstrafe ohne Bewährung drohte, räumte Bayram Aydin 2007 vor Gericht ein, seine Ex-Geliebte gewürgt und geschlagen zu haben. Nach einem Wiederaufnahmeverfahren wurde er jetzt freigesprochen.

. "Im Namen des Volkes" erging vor einer kleinen Strafkammer des Saarbrücker Landgerichts vor sieben Jahren das Urteil gegen den heute 43 Jahre alten Türken Bayram Aydin aus Neunkirchen: zehn Monate Haft auf Bewährung. Auf dieses Strafmaß hatten sich die Prozessbeteiligten - also Richter, Staatsanwältin, Verteidiger und Angeklagter - "verständigt", wie es so schön heißt, wenn vor den Schranken der Strafjustiz "gedealt" wird. Im Klartext geht es um eine Abkürzung des Prozesses: Der Angeklagte ist geständig und bekommt dafür einen Strafrabatt. Im Fall Aydin, dessen damaliger Verteidiger in seinem Namen die angeklagte gefährliche Körperverletzung einräumte, war die Aussetzung der Haftstrafe zur Bewährung der gewährte Bonus. Ohne Geständnis, so heißt es, wäre zweifelsfrei das Urteil der ersten Instanz (Amtsgericht Saarbrücken ) über zehn Monate Haft ohne Bewährung bestätigt worden. Aydin hätte dann hinter Gitter müssen.

Der frühere Vorwurf gegen den Vater von sechs Kindern in aller Kürze: Er soll seine Ex-Geliebte, mit der er zwei Kinder hat, im Jahr 2005 gewürgt, geschlagen und bedroht haben. Zum damaligen Zeitpunkt stand er wegen einer früheren Verurteilung unter Bewährung.

Beide Fehlurteile sind jetzt aus der Welt. Aydins neuer Verteidiger Professor Egon Müller setzte ein Wiederaufnahmeverfahren durch. Mit Beschluss vom 8. Juli 2014 entschied eine Richterin am Saarlouiser Amtsgericht, dass Aydin freigesprochen wird. Die kurze Begründung: Es liegen genügend Beweise vor, die den Freispruch rechtfertigen.

Anwalt Müller verweist unter anderem auf die Tatsache, dass die Ex-Geliebte erst mehr als ein Jahr nach der angeblichen Tat Anzeige erstattet habe. Ein Umstand, der offenbar keinem Prozessbeteiligen den Anstoß für Nachfragen gab. Staatsanwältin und Richter stuften die belastende Aussage der Frau als glaubhaft und die Zeugin selbst als glaubwürdig ein.

Die Wende in dem Fall kam, als diese Zeugin Anfang Oktober 2011 vor einer Staatsanwältin freiwillig ihre Aussage widerrief. Tenor: "Er hat mich nicht berührt. Wir hatten zwar einen bösen Streit, aber er hat mich nicht gewürgt." Ihr Motiv: Sie habe den Ex-Liebhaber belastet, aus Angst, er mache seine Drohung wahr und nehme ihr die Kinder weg. Wegen ihrer Falschaussage wurde die Frau angeklagt. Das Verfahren wurde gegen eine Geldbuße von 1000 Euro eingestellt.

Mit vier Monaten Gefängnis auf Bewährung wurde dagegen ein Bekannter Aydins bestraft, weil er angeblich falsch in dem Prozess ausgesagt haben soll. Hier stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft jetzt von Amts wegen die Wiederaufnahme beantragt.

Aus Sicht von Verteidiger Müller ist der Fall ein "geradezu klassischer Beleg dafür, dass die für das Fehlurteil Verantwortlichen" die Erkenntnis vernachlässigt hätten, wonach Zeugenaussagen mit Eigeninteresse "das am wenigsten zuverlässige Beweismittel ist". Hinzu komme: Der "Deal-Gedanke" in den Köpfen aller Beteiligten habe "den Blick für die lichte Szene verdunkelt".

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