„Es muss etwas zu entscheiden geben“

Saarbrücken · Bürgerbeteiligung muss sein und kann Stadtplanung voranbringen – sofern sie gut gemacht ist und keinen außen vor lässt, vor allem Jugendliche nicht. Das sagt der Stadtplaner Professor Richard Reschl. Er lehrt an der Hochschule für Technik in Stuttgart, führt ein Planungsbüro und gehört dem Saarbrücker Städtebaubeirat an. Am Mittwoch, 13. Januar, 18 Uhr, spricht er im Saarbrücker Haus der Architekten, Neumarkt 11, in Alt-Saarbrücken. SZ-Redakteur Peter Wagner hatte vorab Gelegenheit, mit ihm über seine Ansichten zu sprechen.

 So warb die Stadtverwaltung um Bürgerbeteiligung beim Projekt Stadtmitte am Fluss. Grafik: LHS

So warb die Stadtverwaltung um Bürgerbeteiligung beim Projekt Stadtmitte am Fluss. Grafik: LHS

Würden unsere Städte, auch Saarbrücken, anders aussehen, wären sie "besser", "schöner" oder "praktischer", wenn man die Leute hätte über Entwicklungen und Großprojekte mitentscheiden lassen?

Richard Reschl: Es geht nicht um "schöner" oder "besser", sondern um die Möglichkeit der Identifikation mit der eigenen Stadt. Beteiligung, verstanden als die Möglichkeit, sich in Entscheidungen einzubringen und eben nicht nur hinzunehmen, sollte selbstverständlicher Bestandteil der Stadtentwicklungsplanung sein.

Was ist die wichtigste Erfahrung, die man mit Bürgerbeteiligung macht?

Reschl: Es ist die Erkenntnis, dass sich Bürger für öffentliche Belange einbringen und engagieren. Allerdings müssen die Prozesse zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllen: Es muss tatsächlich etwas zu entscheiden geben und eben nicht alles schon festgelegt sein. Zweitens muss man den Prozess ernsthaft wollen und ihm Zeit einräumen. Die Erfahrung lehrt, dass mancher Beteiligungsprozess eher als Informationsprozess zu beschreiben ist: Information viel, Beteiligung eher wenig! Das spüren die Beteiligten - und dann gibt es Ärger.

Warum sollte es sie geben und in welchem Maß?

Reschl: Wir leben in einer Interessendemokratie. Interessen zu haben und zu vertreten, ist legitim. Nur: Alle Interessen und unterschiedlichen Forderungen sollten im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens auf den Tisch kommen und offen ausgetragen werden. Auch die Interessen derjenigen Bürger, die vielleicht nicht unmittelbar durch ein Projekt betroffen sind. Ich möchte auch nicht schönfärben: Wirtschaftsvertreter oder Investoren sind nicht unbedingt für Bürgerbeteiligung zu motivieren. Hier wäre es Aufgabe der Stadt, Bürgerbeteiligung einzufordern. Sie ist nicht konfliktfrei.

Wo liegt die Gefahr? Wäre es nicht gerecht, auch die Pendler und Kunden mitentscheiden zu lassen, anstatt nur die Bewohner?

Reschl: Bei regional bedeutsamen Fragen sollte auch eine regionale Beteiligung organisiert werden. Diese Beteiligung kann sehr unterschiedlich ausgerichtet sein, zum Beispiel über eine repräsentative Befragung in der Region und/oder über Workshops vor Ort. Wichtig ist, dass die Fragestellung klar definiert wird und die Varianten offen dargelegt werden. Es müsste auch klar definiert sein, wer letztendlich die Entscheidung trifft: Bürgerbeteiligung ersetzt nicht Entscheidungen des Stadtrates, sie ist vielmehr eine zusätzliche Informationsquelle für das zuständige Gremium.

Der Eindruck aus dem Saarbrücken der letzten Jahre: Es wurde mehr Bürgerbeteiligung zugelassen, aber es engagierten sich eher wenige, die aber ziemlich nachdrücklich. War das normal?

Reschl: In der Regel sind bei offenen Beteiligungsprozessen drei Gruppen unterrepräsentiert: Vertreter von Wirtschaftsunternehmen beteiligen sich eher nicht, da sie ihre Interessen direkt bei der Verwaltungsspitze oder den Fraktionen deponieren. Migrantengruppen kommen nicht zu Veranstaltungen, da ihnen die Sprachkenntnisse fehlen - oder sie dies zumindest befürchten; die dritte unterrepräsentierte Gruppe sind die Jugendlichen. Für sie müssten die Themen sehr viel stärker an ihrer Erfahrungs- und Lebenswelt ausgerichtet werden.

Neue Beteiligungsansätze und Methoden berücksichtigen dies und versuchen, durch direkte Ansprache diese Hemmnisse zu umgehen. Dazu gehört auch, dass Verwaltungen gut beraten sind, nicht die Gruppen einzuladen, sondern auf die Gruppen zuzugehen.

Sie gehören neuerdings dem Städtebaubeirat der Landeshauptstadt an. Ihr erster Eindruck?

Reschl: Interessantes Gremium. Ich freue mich auf die Diskussionen. Sehr gut finde ich den Ansatz, sich gegenüber den Bürgern durch das Veranstaltungsformat "Stadt-Forum" zu öffnen. Eine erste Veranstaltung fand statt, weitere sollten folgen.

Wenn Sie Saarbrücker wären: Wo würden Sie gern mal mitreden und umräumen? Und wo wären Sie heute schon mit der Situation zufrieden?

Reschl: Es wäre anmaßend von mir, Ratschläge zu erteilen oder Defizite auszumachen. Etwas Generelles ist mir wichtig: Saarbrücken ist eine durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs sehr zerstörte Stadt, gerade in ihrem inneren Bereich. In einer solchen Stadt wird auch Jahrzehnte nach dem Krieg um die städtebauliche Gestalt und Identität gerungen.

Darüber hinaus befindet sich das ganze Saarland - ebenfalls fast seit Jahrzehnten - im heftigen wirtschaftlichen Strukturwandel. Diesen Prozess anständig hinzukriegen, erfordert viel Zeit, kreative Ideen und Geld. Bürgerbeteiligung kann auch einen Beitrag zur Gestaltung dieses Prozesses leisten. Beteiligungskultur entwickelt sich nicht nur über ein oder zwei gut gelaufene Projekte, sondern nur im ständigen öffentlichen Ringen um gute Qualität in der städtebaulichen Entwicklung.

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