Blinde Kinder ertasten die Welt der Clowns und Artisten

Saarbrücken. Zögerlich und stockend nähert der kleine Anil seine Hand dem Fell der zahmen Ratte Boni. Als seine Finger die zarten Härchen zum ersten Mal streifen, zuckt der neunjährige Junge zurück. Ein ängstlicher Ausdruck liegt auf seinem Gesicht, er drängt sich näher an die junge Frau an seiner Seite

 Sehen kann die kleine Miriam das Pony Chico zwar nicht. Aber das Tier zu streicheln, macht dem Mädchen Spaß. Fotos: Oliver Dietze

Sehen kann die kleine Miriam das Pony Chico zwar nicht. Aber das Tier zu streicheln, macht dem Mädchen Spaß. Fotos: Oliver Dietze

Saarbrücken. Zögerlich und stockend nähert der kleine Anil seine Hand dem Fell der zahmen Ratte Boni. Als seine Finger die zarten Härchen zum ersten Mal streifen, zuckt der neunjährige Junge zurück. Ein ängstlicher Ausdruck liegt auf seinem Gesicht, er drängt sich näher an die junge Frau an seiner Seite. Sie nimmt seine Hand, gemeinsam starten sie einen neuen Versuch, streichen sanft über das glänzende Fell der Ratte. "Ich muss mich erst an die Tiere gewöhnen, dann kann ich sie streicheln", sagt Anil. Ein stolzes Lächeln huscht über seine Lippen, aber seine Augen blicken ins Leere.

Der kleine Anil aus Heusweiler ist blind. Nur durch Tasten und Riechen kann er sich mit der Ratte vertraut machen. Er besucht die Louis-Braille-Schule in Lebach und durfte gestern mit sieben Kameraden den Zirkus "Renz-Manege" besuchen, der zurzeit in Saarbrücken gastiert. Zusammen mit den Artisten durften die Kinder nicht nur auf Tuchfühlung gehen mit dem russischen Windhund Gordi, Katze Sam, den Ratten Boni und Assja, Esel Oscho und den Shetland-Ponys Chico, Albino und Cognac, sondern auch auf einem Ring-Trapez schaukeln und über ein Seil laufen.

Während einige Kinder sich den Tieren und ungewohnten Geräten nur vorsichtig und in Begleitung ihrer Lehrerinnen nähern, gehen andere ganz forsch zur Sache. Die 11-jährige Miriam aus Zweibrücken wagt sich sogar mit dem Einrad auf das Drahtseil. Gestützt von zwei Artisten des Zirkus', tritt sie mit ihren kleinen Füßen langsam in die Pedale. "Geil", rutscht es ihr heraus und ihre Augen leuchten, auch wenn sie nicht sehen.

Lehrerin Annette Thiriot strahlt mit ihren Schülern um die Wette. "Es ist so wichtig für sie, immer wieder neue Erfahrungen und Eindrücke zu sammeln", sagt die Pädagogin. "Das erweitert ihren Wortschatz und ihr Verständnis für die Welt der Sehenden." Als sie sieht, wie eines der Kinder seine Hand an die Nase führt, nachdem es ein Tier gestreichelt hat, fügt sie hinzu: "Nicht nur durch Tasten, sondern auch über Gerüche können die Kinder Dinge einordnen. Es wird nie passieren, dass ein blindes Kind in der Schule die falsche Jacke anzieht."

Ausgelassenes Quietschen hallt durch das Zelt. "Los, Chico, los", schreit der sechsjährige Silas aus Homburg, der mit dem siebenjährigen Jannik aus Kleinbundenbach bei Zweibrücken auf einem der Ponys reitet. Das Tier macht einen Satz, fällt in leichten Trab, sodass sich die beiden Männer, die es führen und die Jungen stützen, sputen müssen. Silas und Jannik lachen vergnügt.

Nur ungern lassen die Kinder von den Tieren, als das Abenteuer Zirkus zu Ende geht. Die 11-jährige Dana aus Landstuhl nimmt einen Herzenswunsch mit nach Hause. Sie hat die Ratten Boni und Assja nicht nur gestreichelt. Sie hat sie in die Hand genommen und sich auf den Kopf gesetzt. "Ich hätte auch gern so eine", flüstert sie und fragt dann: "Aber was fressen die eigentlich?"

 Keine Berührungsängste: Die 11-jährige Dana mit den Ratten Boni und Assja. Clown Slobi kann bei soviel Mut nur noch staunen.

Keine Berührungsängste: Die 11-jährige Dana mit den Ratten Boni und Assja. Clown Slobi kann bei soviel Mut nur noch staunen.

 Sehen kann Miriam das Pony nicht. Aber es zu streicheln macht Spaß. Foto: Oliver Dietze

Sehen kann Miriam das Pony nicht. Aber es zu streicheln macht Spaß. Foto: Oliver Dietze

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