Preisträgerin Hinter den Kulissen des Mensch-Seins

Saarbrücken · Michaela Albrecht bekommt nächste Woche den Förderpreis des Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreises. Eine Begegnung mit einer jungen Frau, die gern Fäkalsprache benutzt.

 Sie provoziert gerne, weil man ihr das auf den ersten Blick nicht zutraut: Michaela Albrecht erhält den Schiff-Literaturpreis.

Sie provoziert gerne, weil man ihr das auf den ersten Blick nicht zutraut: Michaela Albrecht erhält den Schiff-Literaturpreis.

Foto: Iris Maria Maurer

„Ich irritiere gerne mit meinen Texten, ruckele gerne an Weltbildern – vor allem, weil man es mir nicht unbedingt zutraut“, sagt die junge Saarbrücker Nachwuchsautorin Michaela Albrecht. Wer Albrecht kennenlernt, bekommt eine Ahnung wovon sie spricht: Sie wirkt ruhig, zurückhaltend, introvertiert. Fast ein bisschen unscheinbar.

Gleichzeitig enthalten ihre Texte nicht selten Passagen voller Fäkalwörter, sie schreibt Dinge wie: „Erbrochenes trifft auf verschissene Kloschüssel. Tschüss Mageninhalt. Schade um den Rest der halb aufgelösten Tabletten. Wollte sowieso damit aufhören.“ Titel dieser Kurzgeschichte: „Angekotzt“. Sie erzählt von einer jungen Frau, die verloren scheint im Sinn-Vakuum unserer Zeit. Um die Leere zu füllen, gibt sie sich dem Nachtleben hin, den Drogen, fremden Männern.

Mit einer anderen Kurzgeschichte namens „Metamorphose“ hat Michaela Albrecht in diesem Jahr den Förderpreis des Hans-Bernhard-Schiff-Literarturpreises der Stadt Saarbrücken gewonnen – zum zweiten Mal, denn bereits im Jahr 2017 konnte sie die Jury von ihrem Können überzeugen. Auch hier geht es um eine Figur, „die ein bisschen drüber ist“, um es mit Albrechts eigenen Worten zu sagen.

Ein bisschen? Nun ja. „Metamorphose“ erzählt von einer Frau, die sich derart gestresst fühlt und damit so wenig zurechtkommt, dass sie glaubt, ihr eigener Arm gehöre nicht mehr zu ihren Körper. Albrecht sagt, sie beobachte die Menschen, mache das, was sie tun, in ihren Texten bloß provokanter.

Selten geht es dabei um Alltagssituationen, fast immer sind ihre Figuren psychisch gefordert. „Ich setze sie gerne in kritische Situationen um zu sehen, wie sie damit umgehen“, erklärt Albrecht. Anhand dessen will sie stets auch Fragen aufwerfen, „wie in ihren Therapien“, sagt sie.

Therapien? Michaela Albrecht schreibt nicht hauptberuflich, damit Geld zu verdienen habe sie eher immer abgeschreckt, dafür schreibe sie zu gerne, aber auch zu unregelmäßig. Die 28-Jährige setzt auf ein sicheres Einkommen, absolviert derzeit die Psychotherapeuten-Ausbildung.

Dabei war das gar nicht ihr eigentliches Ziel, als sie das Psychologiestudium begann. Vielmehr wollte sie verstehen, warum Menschen die Dinge tun, die sie eben nun einmal tun. Wohl aus demselben Grund studierte sie zunächst vier Semester Soziologie: Um hinter die Kulissen des Mensch-Seins zu blicken. Und im Prinzip sind ihre Texte heute auch nichts anderes als ihre eigenen kleinen Sozialstudien.

Ihr Arbeitsalltag biete ihr bereits jetzt endlose Inspirationen, aber die Idealvorstellung einer Symbiose zwischen ihren beiden Lebenswelten, der Psychologie und dem Schreiben, ist eine andere: Sie möchte eines Tages eine eigene Therapieform entwickeln, in der Menschen mittels Textproduktion ihr Leben regelrecht umschreiben. „Leute mit Problemen könnten davon profitieren“, sagt sie.

Doch auch den klassischen Schriftsteller-Traum hegt sie, will ein eigenes Buch veröffentlichen. Im Gegensatz zu ihren düsteren Kurzgeschichten soll das aber eher eine „feministische, gesellschaftskritische Fantasy-Geschichte“ werden. „Der Plot steht“, sagt Albrecht.

Begonnen hat sie mit dem Schreiben im Übrigen „mehr so als Zeitvertreib“, „gegen die Langeweile zwischen den Schulstunden“. Erst als sie auf die mittlerweile aufgelöste Online-Platform „Hierschreibenwir“ aufmerksam wurde, „fing das mit dem Schreiben so richtig an“, sagt Albrecht. Aus kleinen Zettelchen zwischen Freunden und Teenie-Anfängertexten wurden Kurzgeschichten, mit denen sie an Wettbewerben teilnahm – und gewann.

Von Zeit zu Zeit macht sie das heute noch. Einmal im Monat nimmt sie an der Schreibwerkstatt des Literaturarchives Saar-Lor-Lux teil, hat bereits bei der Literaturveranstaltung „Heldentod auf Seite 3“ im Saarbrücker Künstlerhaus gelesen, bei der literarische Nachwuchstalente vorgestellt werden. Noch immer veranstaltet sie jährlich ein Treffen der ehemals Aktiven von „Hierschreibenwir“. Sie liebt Serien, Filme, Games, macht Ju-Jutsu und tanzt seit Kurzem.

Für eine ihrer Leidenschaften bleibt dann meist nur noch wenig Zeit: das Lesen. Das mache sie inzwischen am meisten im Urlaub. „Aber dann von früh bis spät, in zwei Wochen 15 Bücher“, erzählt sie. Wer mit Michaela Albrecht in Urlaub fährt, muss sich also zu beschäftigen wissen.

Der Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis wird am Mittwoch, 6. November, 18.30 Uhr, im Festsaal des Rathauses Saarbrücken verliehen.

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