Straßentheater Freundliches Gedränge bei der Sommer Szene

Saarbrücken · Die Zuschauer freuten sich über Kabarett und Straßentheater. Ein Wiedersehen mit vielen alten Bekannten.

Wer auf Schorsch trifft, kann eigentlich nur verlieren. Das anarchische Karlsruher Improvisationstalent strotzt vor Spontaneität und Schlagfertigkeit, und es ist fast unmöglich, seinem scharfen Auge und seinen rotzfrechen Kommentaren zu entgehen. Schon vor über 30 Jahren trieb Schorsch alias Georg Schweitzer sein dreistes Unwesen auf der Sommer Szene. Nun machte er, ohnehin gern gebuchter Gast bei „Sonntags ans Schloss“, am Mittwoch erneut in Saarbrücken Station, um im Rahmen der aktuellen und letzten Internationalen Straßentheatertage zwei seiner legendären „Statt-Führungen“ anzubieten: Bei diesen „Sight-Seeings“ der unkonventionellen Art deutet Schorsch seine jeweilige Umgebung völlig neu.

Kam er diesmal außerdem in politischer Mission, als Flower-Power-Botschafter von Bündnis 90? Genau so sah er nämlich aus in seinem froschgrünen Anzug mit Sonnenblumen-Kranz auf dem Haupt. Wie immer war Schorsch nicht nur mit zackigem Temperament und dominanter Eloquenz, sondern außerdem mit einem Zollstock bewaffnet, den er mal als Zeigestab, mal als beliebig formbares Requisit einsetzte.

Nachdem er nachmittags schon eine barocke Runde über den St. Johanner Markt gedreht hatte, verunsicherte er abends die Massen im Schlossgarten: Schorsch dichtete den Leuten fremde Identitäten an, begrüßte sie als alte Bekannte – und identifizierte einen Treppenabsatz als authentische Inspiration für Shakespeares berühmte Balkonszene aus „Romeo und Julia“, die er sogleich mit Laiendarstellern aus dem Publikum nachstellte. Dabei kommunizierte er fortlaufend via Mikro, wobei die Lautsprecher je nach Grad seiner Emphase verzerrt aufjaulten – ja, selbst Technik ist von der Vehemenz eines Schorsch heillos überfordert.

Parallel trieben vor dem VHS-Zentrum die komischen Straßentheatraliker „Les Goulus“ ihre Späße. Die Franzosen sind ebenfalls liebe alte Bekannte des Festivals und agierten hier auf putzigen Pferdeattrappen als „The Horsemen“: blasierte britische Jockeys, denen die vornehme englische Art allerdings oft abhanden kam, zugunsten burlesk-akrobatischer Albernheiten. Auch „Les Goulus“ spannten mehr oder weniger Freiwillige für ihren Schabernack ein.

Freundliches Gedränge herrschte im Anschluss auch rund um die große Bühne vor der Kulisse des Saarbrücker Schlosses: „Entschuldigung“ war das meist gesprochene Wort des Abends, weil man ständig jemanden ohne Absicht anrempelte oder einander bei der Suche nach einem freien Sitzplatz auf die Füße trat. „Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viel los ist“, sagte eine Zuschauerin verblüfft zu ihrer Begleiterin. Die konterte mit einem achselzuckenden „Ich hab‘s dir doch gesagt.“

Schließlich kehrte Ruhe ein, und das N.N. Theater, das tags zuvor schon an gleicher Stelle gespielt hatte, zeigte seine Version von „Das kalte Herz“ nach Wilhelm Hauff. Der gilt bekanntlich als Gruselspezialist unter den Märchenerzählern, und so rieselten einem hier unheimliche wohlige Schauer über den Rücken. Was freilich auch daran lag, dass das Kölner Ensemble, ebenfalls ein langjähriger Publikumsliebling der Sommer Szene, eine wirklich fulminante Adaption des Stoffs ablieferte: intensiv, ergreifend und spannend von der ersten bis zur letzten Minute – und das über die volle Dauer von zwei Stunden.

Den Kölnern gelingt eine fabelhafte Parabel über Gier, Schuld und Sühne, indem sie die Vorlage als Kapitalismuskritik neu deuten und zeitgenössische Bezüge einflechten: Der arme Köhler Peter Munk, der sein Herz an den teuflischen Holländer-Michel verscherbelt, mutiert hier zum eiskalten Geschäftsmann – ein gewissenloser Global Player, der Tropenwälder abholzt; ein seelenloser Immobilienhai, der die eigene Mutter entmietet und seine Frau erschlägt.

Eine ausgeklügelte Ton- und Lichtregie plus Wind- und Nebelmaschine unterstützen die grandiose Kulisse, die zugleich Kohlenmeiler und Schwarzwald symbolisiert und diverse Möglichkeiten des Umbaus eröffnet. Zudem punkten alle Schauspieler auch als Sänger und (Multi-)Instrumentalisten – die Qualität der Musikbeiträge erklimmt hier Brecht-Weillsches Niveau. Und trotz diverser komischer Akzente, wie einer gezielt eingesetzten, übertrieben expressiven Stummfilm-Ästhetik zur Betonung fantastischer Elemente, bleibt die Würde der Vorlage gewahrt.

Das Publikum bedankte sich mit begeistertem Applaus, und das N.N. Theater rief dazu auf, das Festival nicht kampflos aufzugeben: „Macht was! Geht auf die Straße! Protestiert!“

An diesem Freitag, 9. August, macht die Sommer Szene ab 19.45 Uhr auf dem Kirchplatz in Brebach Station.

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