Johann-Voß-Preis an gebürtigen Riegelsberger verliehen Wichtiger Übersetzer-Preis für Rainer G. Schmidt

Saarbrücken · Für ihn ist ein Übersetzer nicht ein Handwerker, sondern „ein Sinnwerker“ – denn er arbeite ja mit Sinn und Bedeutung. Für seine herausragende Arbeit erhält der aus Riegelsberg stammende Rainer G. Schmidt den wohl renommiertesten literarischen Übersetzerpreis im deutschsprachigen Raum.

 Der Saarländer Rainer G. Schmidt wird mit dem Johann-Voß-Preis für Übersetzungen ausgezeichnet.

Der Saarländer Rainer G. Schmidt wird mit dem Johann-Voß-Preis für Übersetzungen ausgezeichnet.

Foto: privat/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung/privat Rainer G. Schmidt

Der „Johann-Voß-Preis für Übersetzung“ ist der wohl renommierteste literarische Übersetzerpreis im deutschsprachigen Raum überhaupt. Vergeben wird er von der Akademie für deutsche Sprache und Dichtung. In diesem Jahr geht die mit 15 000 Euro dotierte Auszeichnung an den aus Riegelsberg stammenden Rainer G. Schmidt. Übergeben wird der Preis erst Ende Mai, doch die Gründe, warum die Wahl der Akademie auf Schmidt fiel, gab diese schon bekannt. Seit fast vier Jahrzehnten überträgt der heute 70-jährige Wahlberliner französische und englische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts ins Deutsche. Es sind Werke anspruchsvollster Art, oft eher unbekannte von bedeutenden Autoren. Allen voran „Mardi – und eine Reise dorthin“, ein Roman voller überbordender Erzähllust über einen Seefahrer, Liebe und Abenteuer in der Südsee, geschrieben 1849 von Herman Melville. Die deutsche Übersetzung, die Schmidt 1998 herausbrachte, war die erste überhaupt. Ein Bravourstück, nicht nur als Entdeckung, sondern auch als übersetzerische, ja sogar philologische Leistung. In Fußnoten erklärt Schmidt heute nicht mehr verständliche Wörter und Anspielungen, versieht das Werk mit editorischen Notizen und Nachwort. Mardi, das Schmidt damals gleich den Paul-Celan-Preis eintrug, erlebte mehrere Neuauflagen.

Rund 55 Bücher, erzählt Schmidt im Gespräch mit der SZ, habe er bisher übersetzt. Fast alle hat er selbst aufgespürt und Verlagen angetragen. „Wenn man einmal angefangen hat zu übersetzen, entdeckt man immer neue Sachen, eins folgt aus dem anderen“, sagt er. Eine rote Linie ergebe sich da wie von selbst. Doch man braucht auch einen langen Atem. Nicht nur für das Übersetzen, auch um einen Verlag zu überzeugen. Eine Zeitspanne von zehn Jahren von der Entdeckung bis zum fertigen Buch sei da, so Schmidt, nicht selten. Von Melville, von dem kaum einer mehr kennt als „Mobi-Dick“ und „Bartleby, der Schreiber“, grub Schmidt noch eine weitere Preziose aus: „Clarel“, ein poetischer Versroman. Auch verblüffte Übersetzer Schmidt selbst die literarische Fachwelt, indem er Victor Hugo mit dessen „Die Arbeiter des Meeres“ erstmals als Romancier vorstellte, der auch zeichnete und seinen Text sogar aus den Zeichnungen entwickelte. Nimmt man noch die Franzosen Victor Segalen, Henri Michaux, Roger Caillois und André Pieyre de Mandiargues hinzu, so kommt man auf eine recht stattliche Anzahl „entweder noch gar nicht übersetzter oder verachteter oder in die Ecke gestellter Autoren“, die man ohne Schmidt hierzulande nicht oder nicht so gekannt hätte. Das darf ihn mit Recht etwas stolz machen.

Lust an Sprache, am Schreiben und an Literatur hatte Schmidt, der aus einer Familie von überwiegend Lehrern, Bergleuten und Bauern stammt, schon früh. Mit 15 veröffentlichte der Schüler des Saarbrücker Knabenrealgymnasiums am Schloss erste Texte in der Schülerzeitung. Er habe in der Schule sogar mal ein Gedicht von Victor Hugo übersetzt und dafür Lob erhalten, fällt ihm, da er gefragt wird, wieder ein. Nach dem Abitur, bei dem er die Rede hält, studiert er in Saarbrücken mit Kunstgeschichte, Philosophie, Germanistik und Soziologie eine Fächervielfalt, die schon überdurchschnittlich breites geisteswissenschaftliches Interesse erkennen lassen. Über die Zwischenetappe Marburg, der Liebe wegen, erreicht er dann mit dem ersten Staatsexamen Mitte der 70er sein bereits 1968 ersehntes Wunschziel Berlin. Zusammen mit seinem saarländischen Gleichgesinnten, Hans Therre, beginnt Schmidt Mitte der 80er die erste große Übersetzung, Rimbauds „Illuminationen“. Ganz schön gewagt. Es war einfach dieser große Widerspruch zwischen der bis dahin gültigen, schrecklich betulichen Fassung von Walther Küchler und Rimbauds herausforderndem Geist, der sie nicht habe ruhen lassen, sagt Schmidt. Das Ergebnis, befindet er, hatte Drive, gefiel einigen Leuten gar nicht, anderen um so mehr. Auch weil er mit seinen eigenen Gedichten nicht den erhofften Erfolg hatte, blieb Schmidt beim Übersetzen. Richtig ernsthaft los ging es für ihn mit der Übersetzerwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin, wo er 1990 mit den „elf Thesen zur Dynamik des Übersetzens“ seine grundsätzlichen Ansichten vorstellte. Für Schmidt ist der Übersetzer danach nicht, wie vielfach postuliert werde, ein Handwerker, sondern „ein Sinnwerker, er arbeitet mit Sinn, Bedeutung“. Als Gewährsmann für diese Überzeugung zitiert er Novalis, für den der Übersetzer „der Dichter des Dichters“ sein müsse.

„Eine ausdrucksvolle, ideenreiche und klare Sprache“ und ein „großes Gespür für Takt und Rhythmus, für Nuancen und Details“, zeichne Schmidt aus, was besonders bei seinen Lyrik-Übertragungen, etwa von Wallace Stevens, zum Tragen komme, lobt die Akademie. Diese Qualität schüttelt man nicht aus dem Ärmel. Ein Buch des Australiers Gerald Murnane habe er dreimal übersetzt, „um den richtigen Ton, die richtige Skandierung hineinzubekommen“, gesteht der Perfektionist. Deshalb sei es für ihn auch wichtig, diesen gut dotierten Preis zu bekommen. „Sonst könnte ich das gar nicht machen.“ Für den Voß-Preis kann man sich nicht bewerben, man wird erwählt. Deshalb sei er auch völlig ahnungslos gewesen, als er eines Abends vom Leiter der Akademie angerufen worden sei. „Ich hab noch gesagt, Sie machen wohl Witze“, erinnert er sich amüsiert. Langsam kann Schmidt nun daran gehen, seine Dankesrede vorzubereiten. Darin will er auf jeden Fall das Mundart-Wort „simmulieren“ unterbringen, das seine Großmutter immer im Munde führte, wenn sie sinnieren meinte. Die Frage, woher das eigentlich komme, lässt den gebürtigen Saarländer nicht los. Ab und zu zieht es ihn noch nach Riegelsberg, wo seine zwei Brüder leben. Manchmal träumt er im flachen Berlin von den saarländischen Hügeln, die er vermisst. „Nach so langer Zeit“, staunt er selbst, „im Inneren ist plastisch noch alles da“.

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