Wunderbar unnützes Wissen Goethes Japan-Verschwörung – oder so

Wie Übersetzungsfehler die Fantasie beflügeln können und unbekannte Lügner wenigstens für eine hübsche Anekdote sorgen.

 Marco Reuther

Marco Reuther

Foto: SZ/Robby Lorenz

Faszinierend, dass man bei der Arbeit an einem Bericht auch immer wieder auf herrlich unnützes Wissen stößt. So neulich, als es um die Französisch-Sprachkenntnisse in den Verwaltungen der Grenz-Kommunen ging. Am Rande tauchte da das Thema auf, dass beim Übersetzen, ganz ähnlich wie beim Kindespiel „Stille Post“, auch mal was ganz anderes herauskommen kann, als der ursprüngliche Schreiber im Sinn hatte. Und dazu stieß ich auf ein wunderbares Beispiel.

Im Jahr 1911 wurde ein kleines japanisches Gedicht, dass zuvor ins Französisch übersetzt worden war, für eine Literaturzeitschrift aus dem Französischen ins Deutsche übertragen: „Stille ist im Pavillon aus Jade / Krähen fliegen stumm / Zu beschneiten Kirschbäumen im Mondlicht. / Ich sitze / Und weine.“ Was die Übersetzer jedoch nicht wussten: Es war ursprünglich gar kein japanisches, sondern ein ins Japanische übertragenes deutsches Gedicht gewesen, nämlich: „Über allen Gipfeln ist Ruh‘ / In allen Wipfeln spürest Du / Kaum einen Hauch. / Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur! Balde / Ruhst du auch.“ – Wanderers Nachtlied von Goethe hat so eine wundersame Verwandlung erfahren. Ich liebe solche Geschichten, die sind genau mein Ding, und ich wünschte sehr, dass diese wahr wäre. Ist sie aber leider vermutlich nicht: Diese Anekdote scheint erst in den 1960er Jahren populär geworden zu sein, ein Original besagter „Literaturzeitschrift“ ist nie aufgetaucht.

Vermutlich hatte da also jemand eine „Fake-News“ in die Welt gesetzt, lange bevor der Begriff inflationär wurde. Schade für die schöne Geschichte. Aber leider wird halt etwas nicht wahr, nur weil man möchte, dass es wahr ist. Und genau das ist es, was Verschwörungstheoretiker, Populisten und amtierende US-Präsidenten so gar nicht verstehen.

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