Kunst im Freien im St. Wendeler Land Besuch bei steinernen Freunden

St. Wendel · Wohin, wenn Corona einem die Decke auf den Kopf fallen lässt? Wer mehr will als Wald und Wiese, findet auf der 25 Kilometer langen Straße der Skulpturen im St. Wendeler Land mehr als 50 Kunstwerke am Wegesrand.

 Cornelieke Lagerwaard an der markanten Skulptur „Im Winde“ von Robert Schad  in der Nähe des Bildhauer-Symposions in St. Wendel.

Cornelieke Lagerwaard an der markanten Skulptur „Im Winde“ von Robert Schad  in der Nähe des Bildhauer-Symposions in St. Wendel.

Foto: Iris Maria Maurer

Montag dieser Woche. Der erste Sommertag im Frühling. Im warmen Sonnenschein warten ein gutes Dutzend riesige Skulpturen auf der Höhe hinter St. Wendel geduldig auf Besuch. Hier, auf dem Feld an der Landstraße L132 Richtung Baltersweiler, nahm die Skulpturenstraße als Bildhauer-Symposion 1971 ihren Anfang. Damals hatte der St. Wendeler Bildhauer Leo Kornbrust (mittlerweile 90 Jahre alt) Kollegen aus aller Welt in seine Heimatstadt eingeladen, um dort  im Freien zu arbeiten, vor allem an Sandstein. „Draußen zu arbeiten war ganz neu für die Künstler, sie übernachteten hier zum Teil in Zelten “, erzählt Cornelieke Laagerwaard, Leiterin des Museums St. Wendel und Vorsitzende des Vereins „Straße des Friedens – Straße der Skulpturen in Europa“, für den sie sich seit Jahren engagiert (siehe Info). Um Leo Kornbrusts  Initiative fortzuführen, die sich mittlerweile quer durch Europa zieht, immer wieder erweitert und unter anderem seit 2002 ergänzt wird von den „Steinen an der Grenze“ im Saargau, einem weiteren Bildhauer-Symposion, das der Merziger Künstler Paul Schneider ins Leben rief. Bei Gehweiler, im nördlichen Saarland, schufen die beiden Bildhauer an der Grenze der  Landkreise St. Wendel und Merzig-Wadern damals zwei Skulpturen, die die Vereinigung der beiden Teilstrecken der europaweiten Straße des Friedens markieren.

Das Herz der Skulpturenstraße allerdings schlägt quasi  „Am Symposion“ auf der Baltersweiler Höhe, nur ein paar hundert Meter entfernt von Kornbrusts Haus im Tal. Es riecht streng nach Dung, als wir uns aufmachen über das noch unbestellte Feld. Es keimt, grünt und blüht überall, die wunderschöne, hügelige Landschaft wirkt gerade in diesen Corona-verseuchten Zeiten frisch, froh und beruhigend. In der Ferne machen ein paar schlanke, schöne Windräder den Skulpturen Konkurrenz. Unschön sind nur die auf dem Feld zwischen den Kunstwerken geparkten Autos und die vermüllte Sitzgruppe. Warum nur hat man das hier nicht anders gelöst? Die Autos verbannt, Sitzmöglichkeiten in respektvollem Abstand zur Kunst geschaffen?

Auch für Cornelieke Lagerwaard ist das immer wieder ein Ärgernis. Wir gehen die Skulpturen auf dem Feld ab, bewundern Yoshimi Hashimotos acht Meter langen „Großen Fuß“ (1977), der aussieht, als wäre eine Buddha-Figur hier gestolpert und hätte sich den Fuß (ab-)gebrochen. Ganz in der Nähe wird schwerer Stein zu luftigem Stoff: Die faltige Skulptur der Rumänin Gabriela-Sylva Beju erinnert an ein Gewand und bezieht sich auf die Personifikation des Sieges in der Figur der Nike aus der griechischen Mythologie. Beju gehört zu den ganz wenigen Frauen in der klassischen Bildhauerei. „In ihren Skulpturen verarbeiten die Künstler oft Gegensätzliches, arbeiten mit Kontrasten“, erklärt Lagerwaard. „Sie reagieren einerseits auf die Landschaft, aber auch auf ihre Zeit.“ Wenn das sehr gut gelingt, entstehe zeitlose Kunst.

Cornelieke Lagerwaard nimmt uns mit auf die andere Straßenseite, zu Gernot Rumpfs Skulptur „Zum Gedenken an das Grubenunglück in der Schwerspatgrube Eisen“ (bei Nohfelden) von 1971. Aluminiumkugeln quillen zwischen massiven Sandsteinplatten hervor, werden zerquetscht. Wie einst vier Bergleute.  Eine Anspielung, die man nur Nachlesen kann, zum Beispiel in der sehr informativen Wanderbroschüre zur 25 Kilometer langen Skulpturenstraße im St. Wendeler Land. Denn Hinweisschilder gibt es keine (mehr), was sehr schade ist, sich aber noch in diesem Jahr ändern soll – falls die Pandemie es zulässt. „Wir planen Beschriftungen samt QR-Code und eine neue Webseite der Straße des Friedens“, erläutert Lagerwaard, die das unter anderem zu einem ihrer Projekte machen will, wenn sie demnächst in Rente geht. Und dann machen wir noch einen Fund: Ein kleiner Saarstein, bemalt mit einem Marienkäfer-Motiv, wurde auf der Skulptur abgelegt. Man soll ihn fotografien und auf Facebook posten, bevor man ihn mitnimmt oder aufs Neue in der Natur auslegt. Wir tun es und freuen uns riesig über den anonymen Gruß. Viele tausend Mitglieder hat die Saarstein-Gruppe schon.

Ganz in der Nähe steht Hajime Togashis „Sonnenstein“. Auf dem verwitterten grauen Marmor entstehen durch Licht und Schatten immer neue Ansichten. „Der Stein sieht nie gleich aus“, sagt Lagerwaard. Sie kennt sie gut, ihre Steine, und besucht sie oft. Es geht weiter über die Frühlingswiese zu Robert Schads markanter Arbeit „Im Winde“, einem jungen Werk von 2008. Wie ein Blitz ragen die massiven Vierkantstäbe in den Himmel und werfen riesige Schatten auf die Wiese, die aussehen wie eine dreidimensionale, sich im Licht ständig verändernde Zeichnung. Filigran, fast zerbrechlich wirkt die neun Meter hohe Stahl-Skulptur. „Sie ist eine meiner Liebsten“, gesteht Lagerwaard – und ist damit nicht alleine.

Auf dem Hügel gegenüber arbeitete James Reineking 1996 mit massiven Stahlblechen, gefertigt in Dillingen. Respektlosen Graffiti-Schmierfinken ist offenbar kein Weg zu weit: Die Skulptur ist besprüht. „Wir wollten sie restaurieren lassen, aber der Experte hat uns geraten, einfach abzuwarten, bis der Rost sich die Skulptur zurückgeholt hat“, so Lagerwaard. Ähnliches Banausentum findet man im Tal an Bruno K.s „Pfahl im Fleisch“ (1981), einer aggressiv in den Himmel ragenden Holzskulptur, die von Weitem dennoch an eine Zipfelmütze erinnert. Anscheinend ist die Skulptur nicht als Kunstwerk auszumachen – wie käme man sonst auf die Idee, ein Wegmarkierungsschild direkt auf deren Holz anzubringen? Und einen weiteren Wegweiser nur einen Meter neben die Skulptur zu platzieren.

Die Straße der Skulpturen verläuft größtenteils parallel zum Saarlandrundwanderweg. So gesehen wird sie oft begangen, aber dennoch schlecht vermarktet. Denn was das St. Wendeler Land hier zu bieten hat, ist (zusammen mit den Steinen an der Grenze) einzigartig und sehenswert. Unsere Wanderung – es ist die Tour 2 in der Wanderbroschüre –  neigt sich nach zirka eineinhalb Stunden dem Ende zu. Vom „Pfahl“, inspiriert vom nahen Galgenplatz im alten St. Wendel geht es berghoch zurück zum unrsprüglichen Symposion. Dort zeigt uns Cornelieke Lagerwaard noch eine ihrer Lieblinge, Paul Schneiders „Durchblick in die Landschaft“, einer  begehbaren Skulptur, bei der man die Landschaft durch eine Art Schießscharte betrachten kann. „Was ist innen, was außen? Die Skulptur ist klotzig, aber zugleich transparent“, findet Lagerwaard.

Zum Abschluss muss sie für die Presse noch auf Leo Kornbrusts Steinthron klettern. Im Thron ist ein Spruch von Arnfrid Astel eingemeißelt: „Ich komme zu mir, da wäre ich gerne.“ Wie gut der Wunsch passt in diesen Tagen, in denen die Menschen zwangsläufig viel Zeit mit sich selbst verbringen. Und vielleicht einmal Zeit finden, die Steine zu besuchen.

 Der „Sonnenstein“ von Hajime Togashi im Vordergrund, die im Volksmund „Pilz“ genannte Skulptur von Gernot Rumpf dahinter. In der Ferne (rechts) sieht man den Kirchturm von Baltersweiler.

Der „Sonnenstein“ von Hajime Togashi im Vordergrund, die im Volksmund „Pilz“ genannte Skulptur von Gernot Rumpf dahinter. In der Ferne (rechts) sieht man den Kirchturm von Baltersweiler.

Foto: Iris Maria Maurer
 Dieser freundliche „Saarstein“ lag auf einer der Skulpturen bei St. Wendel. Infos und Posts findet man auf Facebook.

Dieser freundliche „Saarstein“ lag auf einer der Skulpturen bei St. Wendel. Infos und Posts findet man auf Facebook.

Foto: Iris Maria Maurer

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