150 kostenlose Lesungen Heute startet die virtuelle Buchmesse Saar

Saarbrücken/Dillingen · Ab heute startet die Buchmesse Saar in die zweite Runde – fast komplett digital. Der Zugang zu allen Lesungen und Veranstaltungen ist kostenfrei – wie finanziert man das? Und wie schwierig oder simpel ist die Messe-Technik für die Nutzer? Nachfrage bei Messeleiter und Buchhändler Karsten Wolter vom „Drachenwinkel“ in Dillingen.

Das Team der Buchmesse Saar von links: Thomas Di Lenardi, Isa Theobald, Karsten Wolter,  Diana Wolter und Jan Schäfer.

Das Team der Buchmesse Saar von links: Thomas Di Lenardi, Isa Theobald, Karsten Wolter,  Diana Wolter und Jan Schäfer.

Foto: Dirk Guldner

Um die 150 Lesungen, über 200 Autorinnen und Autoren, Verlage, Händler an einem Wochenende: Die Buchmesse Saar ist eine pralles Paket Literatur. Am Wochenende vom 18. bis 20. Juni findet sie statt – wohl komplett digital und damit anders als etwa aktuell das saarländische Festival „ErLesen!“, das neben reinen Streaming-Lesungen auch Veranstaltungen mit Publikum anbietet. Die könnte es eventuell bei der Buchmesse Saar auch geben, das wäre aber nur ein kleiner Bonus, denn die Messe hat das digitale Konzept seines ihres Debüts vor einem Jahr verfeinert und aus der Not von 2020 eine Tugend für 2021 gemacht. Denn vor einem Jahr war die Messe noch als physische  Veranstaltung vor Ort geplant, die Saarlandhalle war gebucht (und mit Verlagsständen ausgebucht) – bis Corona kam und damit die Frage: absagen oder weitermachen? Und wenn weitermachen – wie?

Das Team entschied sich schnell. „Erst waren wir ziemlich deprimiert“, sagt Messeleiter Karsten Wolter, der in Dillingen seine Buchhandlung „Drachenwinkel“ führt. „Aber wir wollten uns nicht geschlagen geben.“ Also digital statt vor Ort. „Es war ein Sprung ins kalte Wasser, wir mussten alles erstmal lernen.“ Einfach war das nicht beim Organisieren von rund 80 digitalen Lesungen. „Aber wir wussten, dass alles, was wir da lernen, uns als Erfahrung fürs Folgejahr nutzen würde.“ An dieser Erfahrung war sogar die große Buchmesse Frankfurt interessiert, erzählt Wolter. Zwei Tage nach der Buchmesse Saar fragten der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Frankfurter Buchmesse an, wie die Saarländer das alles so auf den Weg gebracht hätten. „Das war für uns als kleine Newcomer schon toll“, sagt Wolter. „Wir können uns immer und ewig auf die Fahnen schreiben, dass wir die erste digitale Buchmesse gestemmt haben“.

Wie schwierig oder einfach ist der Zugang zu den Lesungen?

Jetzt also der zweite Durchgang, mit fast doppelt so vielen Lesungen und auf mehr Kanälen: Konnte man sich die Zoom-Veranstaltungen 2020 über Facebook anschauen, kommen diesmal Youtube und Twitch dazu. Ganz simpel soll die Technik für die virtuellen Buchmessen-Gänger sein – auf der Startseite können sie sich eine Lesung in den sechs virtuellen Lesesälen heraussuchen, dort den gewünschten Kanal anklicken und anschauen. Keine Registrierung, keine Passwörter, kein umständliches Einloggen. „Die Technik muss einfach sein, das ist für uns extrem wichtig“, sagt Wolter, „ich weiß ja selbst, dass man sich etwa beim Online-Einkauf bei jedem weiteren nötigen Klick oder Einloggen ärgert. Irgendwann ist man genervt und kommt als Nutzer nie zurück.“

Der Eintritt ist bei jeder Veranstaltung frei – wie finanziert man das?

So niedrigschwellig wie die Technik soll auch der Zugangspreis sein – jede Veranstaltung der Buchmesse kann man kostenlos besuchen. „Es darf nicht am Geldbeutel liegen, ob sich jemand bei uns etwas anschauen kann oder nicht“, sagt Wolter, „das ist unser Ansatz“. Nur – wie finanziert man das? Über Sponsorenzuschüsse, erklärt Wolter, über die Standmieten der Verlage (zwischen 150 und 300 Euro), über einen erstmaligen Zuschuss des Literaturfonds des Bundes – und über Spenden. „Das haben wir uns ein bisschen abgeschaut“ von der saarländischen Rollenspiel-Convention FaRK, dessen Kopf Benjamin Kiehn auch bei der Buchmesse als Produzent dabei ist. „Die Messe ist grundsätzlich kostenlos für alle – wer spenden kann und will, tut das.“

 Der Blick in einen virtuellen Messeraum.

Der Blick in einen virtuellen Messeraum.

Foto: Buchmesse Saar

Setzt das nicht ein bisschen zu viel Idealismus voraus? Durchaus nicht, ist sich Wolter sicher. „Bei der ersten Buchmesse hatten wir in der Eile nicht daran gedacht, technische Möglichkeiten für Spenden einzurichten – bis uns Besucherinnen und Besucher gefragt haben, wo sie denn jetzt spenden können.“ Da die Messe durch die Standbuchungen und Sponsoren grundlegend so gut wie finanziert ist, kommen die Spenden als Bonus den freien Mitarbeitern hinter den Kulissen zugute. Reich wird bei der Messe niemand, versichert Wolter glaubhaft, „alle haben viel Idealismus, es geht nicht ums Geldverdienen – sondern darum, Kultur im Saarland zu machen“.

Vor- und Nachteile des Digitalen

Dass bei einer digitalen Messe das Flanieren zwischen Bücherständen, das Herumstöbern und der enge Kontakt fehlen, gibt Wolter gerne zu. Er sieht aber auch ganz praktische Vorteile des Digitalen: Das Budget ist niedriger, das finanzielle Risiko minimal. Nachdem die Messe für 2020 die Saarlandhalle angemietet hatte, war es ein Segen, dass die Messe wegen der Corona-Lage nicht nur vom Team abgesagt, sondern von der Politik auch untersagt wurde – „so bekamen wir die Miete komplett zurück“.

Komplett digital soll die Buchmesse jetzt nicht ablaufen – am Messesamstag werden „einige saarländische Größen“ im Theater im Ring lesen, sagt Wolter – Markus Heitz, Deana Zinßmeister, Germaine Paulus, Jens Schumacher, Arno Strobel. Wenn coronatechnisch möglich, mit kleinem Publikum; wenn nicht, eben nur per Stream. „Das wird sich sehr kurzfristig entscheiden.“

Auch im nächsten Jahr nur digital?

Sollten 2022 Corona beherrschbar und Kulturveranstaltungen hygienisch kalkulierbar sein, bleibt die Messe im nächsten Jahr dennoch digital, kündigt Wolter an. Nicht, weil er konzeptuell  komplett aufs Streamen setzt, sondern „weil sich 2022 erstmal alle Veranstaltungen in den großen Hallen wie der Saarlandhalle stauen werden. Und wir hätten jetzt schon etwas anmieten müssen.“ Selbst für 2023 ist Wolter noch skeptisch, aber langfristig schwebt ihm eine Hybrid-Messe vor, mit konventionell physischem Teil und Digitalveranstaltung als Kirsche auf dem Kuchen – etwa um Autoren aus anderen Ländern via Zoom zur Messe zu holen, deren reale Anreise nicht finanzierbar wäre.

Kommandozentrale in der eigenen Buchhandlung

Doch zuvor steht 2021 an: Die Buchhandlung Drachenwinkel von Wolter und seiner Frau Diana Wolter, die bei der Messe für die Organisation verantwortlich ist, fungiert als Kommandozentrale für die Koordination von insgesamt sechs Lesesälen. Je ein dreiköpfiges Team pro Lesesaal ist dort vor Ort, betreut die Technik und kommentiert die Chats auf den jeweiligen Kanälen während der Live-Streams. Jetzt hat Wolter nur noch eine Sorge: „An diesem Tag sollte auf keinen Fall das Internet ausfallen.“

Programm und Infos unter
buchmesse-saar.de

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