Ehemaliges Ministerium in Saarbrücken Wie lieb und teuer ist uns die Vergangenheit?

Saarbrücken · Gegen Abriss-Szenarien für das Pingusson-Gebäude in Saarbrücken gibt es massiven Widerstand aus der Politik und vom Landesdenkmalrat.

 Historische Aufnahme von 1954: die damalige französische Botschaft in Saarbrücken, noch im Bau, von der Parkseite fotografiert.

Historische Aufnahme von 1954: die damalige französische Botschaft in Saarbrücken, noch im Bau, von der Parkseite fotografiert.

Foto: Erich O. Oettinger

Was waren das für klare Worte, 2016, nach einem Grundsatzbeschluss des Kabinetts. Das Pingusson-Gebäude werde erhalten, hieß es, selbst wenn „Wirtschaftlichkeitsdaten“ dagegen sprächen und man dafür in den öffentlichen Streit gehen müsse. So äußerten sich die damalige Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wie auch ihre Stellvertreterin, Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD). Die Begründung: Das denkmalgeschützte Gebäude, in den 50er Jahren als repräsentativer Behörden- und Wohnsitz des französischen Botschafters errichtet, verdiene einen „ideellen Aufschlag“.

Doch wie hoch darf der ausfallen? Darüber ist wieder Streit ausgebrochen, nachdem Bauminister Klaus Bouillon (CDU) gestern eine vorläufige Sanierungs-Summe von rund 53 Millionen Euro veröffentlichte (die SZ berichtete). Im ersten Moment erscheint sie exorbitant. Denn bisher kursierten Zahlen zwischen 30 und 40 Millionen Euro, die den Ministerrat allerdings nicht davon abhielten, der Sanierung zuzustimmen. Erstaunlicherweise liegt genau dieser Kostenrahmen auch Bouillons neuer 53-Millionen-Euro-Kalkulation zu Grunde. Denn die oberste Baubehörde hat den Investitionsbedarf von rund 41 Millionen lediglich mit Preissteigerungen und Risiko-Zuschlag auf das Jahr 2025/2026 hochgerechnet, den frühesten Sanierungs-Endtermin. Ein Sturm im Wasserglas?

Kaum. Denn Bouillon nutzte den Moment, um seine „private Meinung“ zu lancieren, mit der er fraglos Politik macht. Denn er weiß sich damit in der Bürgerschaft, die in der Regel mit der spröden Schönheit von Nachkriegsbauten fremdelt, nicht allein. So vorsichtig Bouillon auch formuliert, er schließt nun bereits zum zweiten Mal in seiner Amtszeit den Abriss des Denkmals nicht aus. Dort war bis 2014 das Kultusministerium untergebracht, und es soll laut Kabinetts-Beschluss auch wieder dorthin zurück. Bereits 2017 irritierte Bouillon mit einer ähnlichen Positionierung, brachte Denkmalschützer und Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) auf die Barrikaden und lieferte der Opposition ein weiteres gefundenes Fressen im Dauer-Problemfall Pingusson. 2011 wurde der akute Sicherheits-Notstand wegen der bröckelnden Fassade öffentlich gemacht, und seitdem steht die Landesregierung wegen Steuergeld-Verschwendung und Baumanagement-Fehlern im Feuer.

Am Donnerstag wieder. Vorgerechnet wird, dass allein 1,74 Millionen Euro für Gutachten und Beratertätigkeiten ausgegeben wurden, oder dass die Leerstandbewirtschaftung bis dato über 277 000 Euro kostete. „Jahrelang wurde taktiert, geprüft, verzögert“, so der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jochen Flackus. Man habe die Sanierung so lange auf die Bank geschoben, bis die Schäden immer größer wurden. Mit dieser These steht Flackus nicht allein. Auch der Kultusminister vertrat sie in der Vergangenheit. Gestern teilte er auf SZ-Nachfrage mit: „Wer eine Frankreich-Strategie verfolgt, kann nicht den Pingusson-Bau fallen lassen. Historisch und kulturpolitisch gibt es zum Erhalt (…) keine vernünftige Alternative. Statt dem Abriss das Wort zu reden oder die Sanierung so weit hinauszuzögern, bis nur ein Abriss bleibt“, solle Bouillon endlich der Landesregierung eine Berechnung vorlegen.

Auch beim kulturpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Jürgen Renner, hat sich „der Verdacht festgesetzt, dass es Minister Bouillon darum geht, die Sanierung unmöglich zu machen.“ Zudem zeuge Bouillons Äußerung, man stecke Geld „in die Erinnerung an einen namhaften Architekten“ davon, dass er „nichts begriffen“ habe, so Renner. Das Gebäude stehe nicht für eine Person, sondern für die spezielle deutsch-französische Geschichte des Saarlandes. Auch die AfD-Fraktion wendet sich in einer Pressemitteilung vehement gegen Abrisspläne („beispiellose Provinzposse“). Die Landesregierung plane „schamlos“ die Beseitigung eines weit über die Grenzen des Saarlandes bekannten Gebäudes.

Parteipolitischer Kanonendonner? Das Denkmal ist mehr als nur ein Geschoss. Die Stadt Saarbrücken hat gerade die Optimierung und Entwicklung eines ganzen Stadtteils, von Alt-Saarbrücken, auf diese „Landmarke“ ausgerichtet, es lief ein Ideenwettbewerb. Ohne das „Schmale Handtuch“ hätten die Siegerentwürfe sicher anders ausgesehen. Das gilt auch für die Handwerkskammer (HWK). Sie plant direkt neben dem Pingusson-Gelände einen Neubau für ihre Bildungsakademie. Der nimmt, etwa in Dimension und Geschoss-Höhe, Rücksicht auf das Denkmal. „Bei einem Abriss hätten wir ganz anders bauen können“, meint HWK-Präsident Bernd Wegner (CDU). Denn das Gebäude diene zur Autobahn hin als Schallschutz.

Derweil ärgert sich der Vorsitzende des Landesdenkmalrates Saar Henning Freese, über die ministeriellen Zahlenspiele. Wer heute 53 Millionen Euro in den Raum stelle, suggeriere, dass es womöglich noch teurer würde: Außerdem müsse man eine Vergleichsrechnung anstellen: Was kostet ein Neubau für 250 Ministeriums-Mitarbeiter, was die Dauer-Miete in der Alten Post? Vor allem aber ist laut Freese zu bedenken, was man verliere – „ein Kulturgut“, hohe architektonische Qualität, und was man dagegen eintausche. „Welche Billigarchitektur in der Regel entsteht, sieht man am Wirtschaftsministerium. Wir werden nicht reich werden dadurch, dass wir billig und nicht nachhaltig bauen.“ Denkmalschutz beruhe auf einer gesellschaftlichen Übereinkunft, so der Denkmalrat-Vorsitzende. „Bei Schloss Neuschwanstein fragt auch niemand nach den Erhaltungskosten.“

 Der besondere Wert des Pingusson-Gebäudes (1954-1957) bestand darin, dass auch die Inneneinrichtung von höchster Qualität war. Die Franzosen wollten an der Saar ihre kulturelle Stärke zeigen. 

Der besondere Wert des Pingusson-Gebäudes (1954-1957) bestand darin, dass auch die Inneneinrichtung von höchster Qualität war. Die Franzosen wollten an der Saar ihre kulturelle Stärke zeigen. 

Foto: Erich Oettinger

Gibt es für Denkmalschutz also keine finanzielle Schallgrenze? In die Sanierung des Dresdner Residenzschlosses fließen beispielsweise 390 Millionen Euro. Gestritten wurde nur über das Wie, nicht über das Wieviel. Seit geraumer Zeit lässt sich in der Republik angesichts schwindender Bauflächen in den Innenstädten sogar ein Pro-Denkmal-Trend beobachten: Bürger wehrten sich in Hamburg (City-Hof) oder in Karlsruhe (Franz-Rohde-Haus) gegen die Abrissbirne und den Denkmal-Ausverkauf an Investoren.

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