Jüdisches Leben in Zweibrücken Niemand kam zur Hilfe, niemand löschte

Zweibrücken · 83 Jahre nach der Reichspogromnacht gedachte Zweibrücken am 9. November der verfolgten und ermordeten Juden. Unter anderem gab es eine Stadtführung mit Charlotte Glück.

 Charlotte Glück (rechts) zeigte den Teilnehmern der Stadtführung den Eingang ins Judengässchen, das von der Fußgängerzone abzweigt. Hier befand sich die erste Zweibrücker Synagoge in einem Privathaus. Später folgte eine Gedenkveranstaltung an der Wallstraße/Ritterstraße.

Charlotte Glück (rechts) zeigte den Teilnehmern der Stadtführung den Eingang ins Judengässchen, das von der Fußgängerzone abzweigt. Hier befand sich die erste Zweibrücker Synagoge in einem Privathaus. Später folgte eine Gedenkveranstaltung an der Wallstraße/Ritterstraße.

Foto: Susanne Lilischkis

Es ist ein Datum mit Symbolcharakter. Am 9. November 1938 brannten in ganz Deutschland die Synagogen – auch in Zweibrücken. Das prächtige Gotteshaus im maurischen Stil in der Wallstraße ging in Flammen auf. Tatenlos ließen Bürger und Feuerwehrleute das Gebäude abbrennen. Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. „Dabei war vielen Leuten bekannt, wer dabei war. Ich selbst habe vor Jahren mit einem Zweibrücker Mitbürger gesprochen, der zugab, beim Anzünden der Synagoge geholfen zu haben“, berichtete Charlotte Glück.

Die Leiterin des Stadtmuseums führte interessierte Zweibrücker und Zweibrückerinnen auf den Spuren jüdischen Lebens durch die Rosenstadt. Wohnten im Jahr 1890 noch 250 Juden in Zweibrücken, so lebten im Jahr 1938 noch etwa 80 hier. Viele Menschen jüdischen Glaubens verließen die Stadt schon vor den Pogromen. Sie wanderten aus, wie zum Beispiel Erich Elias. Der Onkel von Anne Frank floh aus seinem Haus in der Kaiserstraße in die Schweiz und überlebte den Holocaust. Seine Nichte starb im KZ Bergen-Belsen. Die Flucht gelang auch den Familien Weis und Loeb. Sie wohnten in der Wallstraße. Das letzte Familienmitglied reiste aus Deutschland am 9. November 1938, dem Tag der Pogrome, aus. Er behielt sein Leben, doch musste er sein gesamtes Vermögen abgeben.

Weniger Glück hatten Emil und Chana Dellheim aus dem Mühlgässchen. Sie wurden am Folgetag der Pogrome früh morgens aus ihren Betten geholt. Ihre Zweibrücker Mitbürger, mit denen sie jahrzehntelang in Frieden lebten, zertrümmerten das Mobiliar des Paares und nahmen Emil Chana in Gewahrsam. Er musste den Nazis sein gesamtes Vermögen überschreiben, „freiwillig“, wie es auf einer Urkunde vermerkt ist, die kürzlich im Landesarchiv Speyer aufgetaucht ist. Emil Chana wurde in der Folge im Konzentrationslager ermordet, seine Frau überlebte, schwer von Krankheit und Trauma gezeichnet.

Es sind Geschichten wie diese, die alle Teilnehmer der Stadtführung fassungslos machten. Sie zeigen, dass es wichtig ist, die Erinnerung an die Gräueltaten zu bewahren und sie den folgenden Generationen weiterzugeben. Und so stand auch die Gedenkveranstaltung am Ort der früheren Synagoge im Zeichen des Erinnerns.

Mit dem Lied „Hevenu Shalom Aleichem“ eröffnete Sängerin Efe den Abend. „Shalom Aleichem“ ist eine Begrüßung auf Hebräisch und bedeutet „Friede sei mit dir“. Mitwirkende waren der Ökumenische Arbeitskreis der evangelischen, katholischen und methodistischen Kirche, der Historische Verein Zweibrücken, der Aktionskreis Buntes Zweibrücken und die Stadt Zweibrücken.

Schüler des Hofenfels-Gymnasiums und der Berufsbildenden Schule trugen Texte zum Thema Rassismus vor. Zusammen mit den zahlreichen Besuchern des Gedenkabends sangen sie das Lied „Bau nicht dein Haus auf losen Sand“ sowie das Lied „Schaut hin“, das Leitmotiv des diesjährigen ökumenischen Kirchentags.

Hinschauen, nicht wegsehen, nicht vergessen – es scheint, dass sich viele Menschen aus Zweibrücken diese Worte zu Herzen nehmen. Damit es in Zukunft nicht noch einmal heißen kann: Niemand kam zur Hilfe, niemand löschte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort