Wer ist hier befangen? Großes Justiz-Kino vor dem Landgericht

Zweibrücken/Contwig · Beim Prozess gegen einen mutmaßlichen Autodieb ging es um alles andere als den eigentlichen Fall.

 Der gestohlene Dacia rollte brennend ein abschüssiges Feld hinunter und kam an einer Scheune zum Stehen.

Der gestohlene Dacia rollte brennend ein abschüssiges Feld hinunter und kam an einer Scheune zum Stehen.

Foto: Polizeiinspektion Zweibrücken/Polizei

Ein Befangenheitsantrag jagte den nächsten am Montag bei der Fortsetzung des Prozesses, in dem sich ein 27-Jähriger seit Dezember 2020 vor der Ersten Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken wegen mehrerer Delikte verantworten muss – darunter Autodiebstahl.

Noch ehe am Montag die Beweisaufnahme fortgesetzt werden konnte, verlas der Verteidiger, der St. Ingberter Rechtsanwalt Robert Münch, gleich zwei Befangenheitsanträge. Die beiden Ablehnungsgesuche richteten sich gegen die Vorsitzende Richterin Susanne Thomas und gegen eine Sachverständige von der Saarländischen Klinik für Forensische Psychiatrie, Merzig. Die Fachärztin für Nervenheilkunde war vom Gericht damit beauftragt worden, den Angeklagten psychiatrisch zu begutachten. In einem seiner Anträge machte der Rechtsanwalt die „Sorge“ seines Mandanten geltend, dass die Vorsitzende Richterin die Hauptverhandlung „nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit“ führe. So sei sie mehrfach beratend tätig geworden, zum Beispiel als sie gegenüber Staatsanwalt Patrick Langendörfer angeregt hatte, dass er den demnächst zu vernehmenden Polizeibeamten doch besser anwaltlichen Zeugenbeistand beiordnen solle. Zudem habe die Vorsitzende versucht, seinen Mandanten einzuschüchtern, so Münch. In der Verhandlung am 12. April habe sie ihm ein Strafverfahren angedroht, sollte er seine Beweisanträge aufrecht erhalten. Darin ging es um möglicherweise von der Polizei unrechtmäßig vernichtete Video-Aufnahmen, die während einer Verfolgungsfahrt am 24. Juni 2020 aus einem der beteiligten Streifenwagen heraus gemacht worden sein könnten.

An jenem 24. Juni 2020 sollen reichlich Alkohol und Drogen im Spiel gewesen sein, als sich der 27-Jährige – ohne eine Fahrerlaubnis zu besitzen – eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei quer durch den Zweibrücker Stadtteil Ernstweiler geliefert hatte, um einer drohenden Verkehrskontrolle vor einem Einkaufsmarkt in der Homburger Straße zu entgehen. Dabei war er über mehrere Kundenparkplätze gerast, an einem Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei Enkenbach-Alsenborn entlanggeschrammt und schließlich von den Beamten mit einem platten Reifen in einer Sackgasse gestellt worden.

Zudem warf Rechtsanwalt Münch der Vorsitzenden Richterin vor, die Staatsanwalt Zweibrücken „unverhohlen“ dazu angehalten zu haben, einen Bewährungswiderruf gegen den Angeklagten einzuleiten. Was zur Folge gehabt hätte, dass der 27-Jährige nicht mehr „nur“ in Untersuchungshaft, sondern – wegen einer Vorstrafe wegen wiederholtem Fahrens ohne Fahrerlaubnis – nun ganz regulär im Gefängnis säße und dadurch mehr Spielraum für die Weiterführung des aktuellen Verfahrens bliebe. Weiterhin monierte der Verteidiger, dass die Sachverständige Kranken- und Patientenakten der Jugendstrafanstalt Schifferstadt bislang nicht beachtet hätte, wo sein Mandant wegen möglicher paranoid-halluzinatorischer Erlebnisse behandelt worden war.

Woraufhin die Kammer nach einer längeren Beratung zwar die „Beiziehung“ der betreffenden Kranken- und Patientenakten verfügte, jedoch das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende „wegen Verspätung“ verwarf. Der Befangenheitsantrag hätte „unverzüglich“, also noch am betreffenden Verhandlungstag oder wenig später, eingereicht werden müssen, begründete Richterin Thomas die Zurückweisung dieses Ablehnungsgesuchs.

Weshalb Rechtsanwalt Münch am Montag einen neuen Befangenheitsantrag formulierte – diesmal wirklich unverzüglich, unmittelbar nach der Aussage eines 49-jährigen Polizeioberkommissars. Casus knacksus: Die Vorsitzende Richterin soll dem Beamten der Polizeiinspektion Zweibrücken während eines Telefonats in den Mund gelegt haben, dass es keine Video-Aufnahmen aus der Bord-Kamera eines an der Verfolgungsfahrt beteiligten Polizeifahrzeuges gegeben habe. Die Beamten hatte wohl schlicht vergessen, das Gerät einzuschalten, wie ein Polizist ausgesagt hatte. Und so habe der von der Vorsitzenden Richterin kontaktierte Polizeioberkommissar dem Gericht quasi auftragsgemäß zurückgemeldet: „Es sind keine Video-Daten gesichert worden.“ Eine Antwort, die Fragen aufwarf. Etwa die: Gab es vielleicht doch ein Video, das eine entscheidende Phase der Verfolgungsjagd zeigte, aber möglicherweise versehentlich gelöscht wurde? Hätte die Aufnahme den Angeklagten, dem unter anderem Herbeiführen eines Verkehrsunfalls, Straßenverkehrsgefährdung zur Verdeckung einer Straftat und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen werden, vielleicht entlasten können? Darauf setzt Rechtsanwalt Münch, der davon überzeugt ist, dass es keine „lebensbedrohliche Verfolgungsjagd“ war, wie sie seinem Mandanten vorgeworfen wurde. Er glaubt, dass der 27-Jährige an einer „schizophrenen Grunderkrankung“ leide. Zielrichtung des Verteidigers: die Schuldunfähigkeit seines Mandanten zu beweisen – sowohl bei der Verfolgungsfahrt als auch bei dem Autoklau in der Nacht zum 24. Mai 2020 aus einem Contwiger Hinterhof. Dabei wird er an der Vorsitzenden Richterin Thomas nicht vorbeikommen. Denn am Montagabend befanden drei Richter am Landgericht Zweibrücken, die Vorsitzende Richterin sei nicht befangen, und wiesen den Ablehnungsgesuch des Verteidigers zurück.

Die Verhandlung wird am 12. Mai um 14 Uhr fortgesetzt.

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