Gesundheitsamtsleiter Dr. Koch über Corona-Pandemie in Region Südwestpfalz/Pirmasens/Zweibrücken „Erstes Jahr relativ gut hinter uns gebracht“

Südwestpfalz · Ein Jahr Corona in der Region Zweibrücken/Pirmasens/Südwestpfalz bedeutet auch ein Jahr Gesundheitsamt im Ausnahmezustand. Mit Blick zurück wie nach vorn nimmt Amtsleiter Dr. Heinz-Ulrich Koch kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, auch einmal unangenehme Wahrheiten auszusprechen.

 Gesundheitsamtsleiter Dr. Heinz-Ulrich Koch ist beim Landreis Südwestpfalz angestellt, aber zu seinem Gesundheitsamtsbezirk Südwestpfalz gehören auch die Städte Pirmasens und Zweibrücken.

Gesundheitsamtsleiter Dr. Heinz-Ulrich Koch ist beim Landreis Südwestpfalz angestellt, aber zu seinem Gesundheitsamtsbezirk Südwestpfalz gehören auch die Städte Pirmasens und Zweibrücken.

Foto: Lutz Fröhlich

Niemand ist in unserer Region näher dran an der Corona-Pandemie und ihren Konsequenzen als das Gesundheitsamt: Die bei der Kreisverwaltung Südwestpfalz angesiedelte – aber auch für die kreisfreien Städte Zweibrücken und Pirmasens mit zuständige – Behörde ist seit einem Jahr immer gefordert, egal ob es um Hygiene- und Schutzmaßnahmen, Tests oder Impfungen geht. Ihr Leiter Dr. Heinz-Ulrich Koch ist seit März vergangenen Jahres im Dauerstress. In seinem Rückblick auf ein Jahr Corona in der Südwestpfalz findet Kritik genauso ihren Platz wie Erfolge, und vor allem hat er die Hoffnung nicht verloren.

Der Mediziner nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, auch einmal unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Und eine davon ist, dass er unzufrieden ist mit einigen Corona-Entscheidungen, die ihm das Land aufgezwungen hat – aber aus seiner Sicht nicht vernünftig und sinnvoll sind. Dr. Koch erinnert: „Eingangs habe ich gesagt: Lasst uns die Kindertagesstätten offen halten.“ Und in der ersten Welle sei diese Einschätzung klar richtig gewesen, denn mit den damaligen Virusvarianten waren sie keine Orte, an denen Corona besonders verbreitet wurde, so Koch: „Damals wurde angeordnet, dass alle Kindertagesstätten schließen müssen. Jetzt aber in der dritten Welle, in der durch Virusmutationen in den Kindertagesstätten ein reges Infektionsgeschehen herrscht und eine Schließung notwendig wäre, hindert uns das Land daran, diese Entscheidung zu treffen.“

Mit etwas Ironie nennt Koch die jetzige Phase der Corona-Politik die „postrationale Phase“ – sprich wir haben die Zeit der vernünftigen Entscheidungen verlassen. Und dafür hat er noch ein zweites Beispiel: Längst sei bekannt, dass es kaum Ansteckungen im Einzelhandel gibt, aber als erste Maßnahme bei hohen Inzidenzzahlen werden Geschäfte geschlossen. Wenig begreifbar für den Leiter der Gesundheitsbehörde.

Allerdings gibt es für ihn auch einen positiven Aspekt in der einjährigen Pandemiephase. „Der öffentliche Gesundheitsdienst hat einen anderen Stellenwert bekommen“, betont Koch und fügt süffisant an, das vor der Corona-Krise das Gesundheitsamt mit seinen damals 34 Mitarbeitern eher ein Anhängsel in der Kreisverwaltung war: „Da hat sich die Wahrnehmung geändert.“

Zu sehen ist das auch in der personellen Aufstockung: Bis zu 72 Mitarbeiter sind inzwischen in und für die Gesundheitsbehörde tätig, in der Kreisverwaltung am Pirmasenser Sommerwald und einer kurzfristig im vergangenen Jahr geschaffenen Außenstelle im Banana-Building auf der Husterhöhe. Zwar hat es auch Neueinstellungen gegeben, berichtet Kochs Chefin, Landrätin Susanne Ganster (CDU); aber der personelle Zuwachs ist auch durch die Abstellung von Mitarbeitern anderer Kreisverwaltungsabteilungen und anderer Behörden geprägt – von der Bundeswehr über das Finanzamt bis zum Zoll reicht die Bandbreite, nicht zu vergessen die über das Robert-Koch-Institut eingestellten Corona-Scouts.

Dass die Aufstockung an Mitarbeitern auch dringend notwendig ist, bekräftigt Koch „Nur durch diese personelle Unterstützung waren wir bisher in der Lage, die Seuche klein zu halten und dafür zu sorgen, dass es möglichst kleine Fallzahlen gibt. Wir wären andernfalls nicht an diesem Punkt.“

Trotz dieser Entwicklung sieht die Landrätin das Gesundheitsamt im Besonderen, aber auch die Kreisverwaltung allgemein nach einem Jahr Corona personell an den Grenzen, denn das Tagesgeschäft laufe ja auch weiter: „Wir kommen kaum mit der Arbeit und den Aufgaben nach.“ Lediglich im Sommer und Frühherbst im vergangenen Jahr habe es einmal einige Wochen gegeben, als eine leichte Entspannung zu spüren war und da sei einmal durchgeschnauft und das Personal in Freizeit und Urlaub geschickt worden. Diese Pause war aber nur von kurzer Dauer, seit Herbst ist das Personal wieder im Dauereinsatz.

Trotz aller Sorgen, Nöte und Probleme, trotz aller Kritik und Ärger, ein negatives Fazit sieht anders aus, wenn Koch sagt: „Wir haben das erste Jahr in der Südwestpfalz relativ gut hinter uns gebracht.“ Und er macht sogar ein wenig Hoffnung: „Wenn die Impfungen auch gegen neue Varianten wirksam bleiben, haben wir gute Chancen, bald rauszukommen aus der Pandemie.“ Verbunden hat der Leiter des Gesundheitsamtes diese Einschätzung mit einem Impfappell: „Dazu müssen aber mindestens zwei Drittel der Bürger geimpft werden, daher müssen wir das jetzt durchziehen.“ Wichtig sei es gewesen, die Risikogruppen zuerst zu impfen und schützen.“

Und der Mediziner hat in diesem Zusammenhang noch eine zweite Botschaft, nämlich Vertrauen in die Corona-Impfungen zu haben, egal ob es um Schnelligkeit oder Impfstoffe geht. Normalerweise brauche es ein Jahrzehnt, bis Impfstoffe bereitstehen, im Fall des Coronavirus seien es ein bis eineinhalb Jahre. Dr. Kochs Kommentar zur Astrazeneca-Diskussion: „Da kommt ein alter deutscher Fehler hoch: Dinge schlechtzureden und zu diskreditieren.“

Wenn die Landrätin auf ein Jahr leben mit dem Coronavirus zurückschaut, denn gesteht sie freimütig ein: „Vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass die Corona-Pandemie diese Dynamik entwickelt, dass sie kurzfristig diese Geschwindigkeit aufnimmt.“ Allerdings sei ihr schon bewusst gewesen, auch in den ersten Tagen, dass wir uns alle auf längeren Zeitraum einstellen müssen. Und noch eines sei sicher nicht in dieser Form denkbar gewesen: Zwar sei immer von einer zweiten Welle ausgegangen worden, aber eine dritte Welle mit diesen Auswirkungen, wie wir sie jetzt nach einem Jahr erleben, dass war dann doch nicht erwartet worden.

Was Ganster übrigens zur aktuellen Entwicklung bringt. „Wir müssen uns einmal erinnern: Bei der ersten Welle haben wir schon bei Inzidenzen von 20 alles geschlossen, jetzt sind wir bei 100 plus an dem Punkt angekommen, wo wir uns über Lockerungen und Lockdowns, Schließungen und Öffnungen unterhalten.“ Das sei aber nicht leicht, denn nach einem Jahr Corona müsse abgewogen werden, was noch vertretbar und zumutbar ist.

Die Landrätin plädiert heute dafür, wegzukommen von der reinen Inzidenzbetrachtung, denn es gebe e eine andere Situation – auch in der Region Südwestpfalz: Krankenhäuser haben andere Kapazitäten und Vorbereitungen, die Senioreneinrichtungen sind immunisiert, die Impfkampagne laufe auch in der Region auf vollen Touren. Und da gelte es zu fragen, ob wir nicht unseren Hygiene- und Schutzkonzepten wirklich vertrauen wollen.

In den Fokus müssten vor allem die Situationen genommen werden, wo wirklich Einschränkungen notwendig sind und auch helfen, plädiert Landrätin Ganster für ein anderes Corona-Denken: „Wenn mehrere Kitas betroffen sind, müssen wir uns fragen: Was tun wir für den Corona-Schutz dort? Und an anderer Stelle müssen wir uns gleichzeitig fragen: Was können wir sinnvoll öffnen für etwas mehr Normalität?“ Denn dort, wo Hygiene und Abstand beachtet werden, sei die Entstehung von Infektionsketten unwahrscheinlich.

Schließlich gehe es auch um die Frage, so Ganster: „Wir müssen als Gesellschaft überleben, brauchen soziale Kontakte, sonst drohen längerfristig andere Probleme.“

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