Von WM-Träumen und zurückhaltenden PrognosenErlischt die Liebe zur Leichtathletik?

Saarbrücken. Genau 101 Tage noch. Dann erlebt Deutschland auf der blauen Bahn im Olympiastadion in Berlin die drittgrößte Sportveranstaltung nach Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften - die Titelkämpfe der weltbesten Leichtathleten (15. bis 23. August). "Großer Sport und ein großes gesellschaftliches Ereignis", meint Bundesfinanzminister Peer Steinbrück

Saarbrücken. Genau 101 Tage noch. Dann erlebt Deutschland auf der blauen Bahn im Olympiastadion in Berlin die drittgrößte Sportveranstaltung nach Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften - die Titelkämpfe der weltbesten Leichtathleten (15. bis 23. August). "Großer Sport und ein großes gesellschaftliches Ereignis", meint Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der Gastgeber, glaubt gar an "ein kleines Wunder, dass die Deutschen in Berlin ihre Liebe zur Leichtathletik wiederentdecken".Ist sie, die Liebe zu dieser olympischen Kernsportart, etwa abgekühlt oder gar erloschen? Wie populär ist die Leichtathletik überhaupt noch? Gerade in Zeiten, in denen die Freizeit immer knapper wird - die Beschäftigungs-Möglichkeiten an Vielseitigkeit und Kreativität aber keine Wünsche offen lassen. Ist der Abwärtstrend in den Medaillen-Statistiken der deutschen Leichtathleten in den vergangenen Jahren ein Spiegelbild für den Stand der Sportart in der Gesellschaft? All diesen Fragen wird die Saarbrücker Zeitung in den kommenden Wochen bis zur Weltmeisterschaft in der Serie "Leichtathletik am Scheideweg" nachgehen - und zwar bei der Basis, den Vereinen vor Ort, die mit diesen und anderen Problemen täglich kämpfen, ja kämpfen müssen. Die SZ trifft sich auch mit den besten Athleten im Land - Sprinter Simon Kirch, Hürdenläuferin Tina Kron oder Weitspringerin Bianca Kappler, deren Fokus einzig und allein auf die Teilnahme am Heimspiel in der Bundeshauptstadt ausgerichtet ist. Die saarländischen Top-Athleten (siehe Text unten) sind nicht die einzigen, die nach Berlin wollen. Bis zu 600 000 Besucher erwarten die Organisatoren an den acht Wettkampf-Tagen im Olympiastadion. Und umringt von bis zu einer Million Zuschauern werden die Marathon-Läufer und Geher mitten in der City auf einer zehn Kilometer langen Schleife um Medaillen kämpfen. Zahlreiche Fans aus dem Saarland werden dann vor Ort sein. So auch elf Nachwuchs-Sportler, die der Saarländischen Leichtathletik-Bund (SLB) für das Jugendlager des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gemeldet hat.Ein kleines Stück WM-Atmosphäre kommt in diesem Jahr auch direkt ins Saarland. Das Finale der Deutschland-Tour des DLV-Bewegungscamps wird am 16. September auf dem Tbilisser Platz in Saarbrücken steigen. In bundesweit sechs Innenstädten bietet der DLV in Zusammenarbeit mit dem Sportartikel-Hersteller Nike, der Krankenkasse DAK und dem WM-Organisationskomitee Mitmach-Angebote an, die allesamt mit Laufen, Springen oder Werfen zu haben - etwa das SMS-Hüpfen auf einer überdimensionalen Handy-Tastatur. Nike garantiert zudem, dass Top-Athleten, die das Unternehmen vertraglich an sich gebunden hat, vor Ort sind, über ihre Erlebnisse bei der Weltmeisterschaft erzählen und natürlich Autogramme schreiben. Wer nach Saarbrücken kommt, steht derzeit noch nicht fest.Alles in allem wird das Jahr 2009 durchaus zu einem Gradmesser für die Leichtathletik. Und die SZ wird diesen Prozess in ihrer Serie begleiten.Saarbrücken. Susanne Hahn (31, Foto: afp) hat es geschafft. Als erste Saarländerin hat die Marathonläuferin des SV schlau.com Saar 05 das Ticket für die Weltmeisterschaft in Berlin in der Tasche (die SZ berichtete). Beim Marathon in Düsseldorf unterbot sie am vergangenen Sonntag die WM-Norm mit Bestleistung von 2:29:26 Stunden. Diese Leistung möchte sie in Berlin bestätigen: "Ein gutes Abschneiden bei der WM ist mein oberstes Ziel." Ihre Vorbereitung zielt nun alleine auf diesen Lauf im August ab. Dazu wird sie im Juni noch ein Trainingslager absolvieren.Die WM-Teilnahme ist auch das große Ziel von Bianca Kappler (31, Foto: rup). Die Weitspringerin des LC asics Rehlingen (Bestleistung 6,90 Meter) hat am 23. Mai bei einem Meeting in Weinheim den ersten Versuch, die WM-Norm von 6,72 Metern zu springen. "Eine WM im eigenen Land - da ist der Stellenwert natürlich ungleich höher", sagt sie. Zur Vorbereitung ist sie letzten Freitag mit dem deutschen Weitsprungkader ins Trainingslager nach Portugal gefahren. Wenn es mit der Norm klappen sollte, plant Kappler noch ein weiteres Trainingslager vor der WM.Während die anderen Weitspringer im Trainingslager schwitzen, fehlt Christian Kaczmarek (Saar 05). Er hat sich im Training einen Muskelfaserriss im rechten Oberschenkel zugezogen und muss noch mindestens drei Wochen pausieren: "Bis dahin hatte ich gut trainiert und war so schnell wie seit 2004 nicht mehr. Ich hoffe, dass mich die Verletzung nicht zu weit zurückwirft." Die Norm für die WM (8,15 Meter) ist noch weit weg für den 24-jährigen Wahl-Berliner. Sein erstes Ziel ist es, wieder gesund zu werden, über acht Meter zu springen und zur Studenten-WM zu fahren. Die WM in Berlin schreibt er aber nicht ab.Wie Kappler bereiten sich auch die Speerwerfer Matthias de Zordo (21, Foto: Dietze) und Alexander Vieweg (22, Foto: Hensel), beide Saar 05, momentan in Portugal auf die Saison vor. Für beide sind die Militär-Weltmeisterschaften in Sofia und die U23-Europameisterschaften in Kaunas große Ziele. "Eine Berlin-Teilnahme wäre toll, ist aber eher das kleinere Ziel", erklärt de Zordo, der vergangenes Jahr verletzungsbedingt ausfiel. Bei einer Bestleistung von 82,51 Meter von de Zordo und 83,29 von Vieweg scheint die WM-Norm von 81 Metern durchaus möglich.Auch Simon Hechler (21, Foto: SZ) musste in der vergangenen Saison pausieren: Rückenprobleme. Doch der Zehnkämpfer vom LA-Team Saar ist wieder topfit: "Dieses Jahr ist für mich ein Aufbaujahr, die WM in Berlin wird für mich eher keine Rolle spielen." Auch Hechler möchte dieses Jahr bei der U23-EM in Kaunas an den Start gehen. Sein persönliches Ziel: 7800 Punkte erreichen.Die 400-Meter-Hürdenläuferin Tina Kron (Saar 05, Foto: rup) startet ebenfalls verletzungsfrei und hochmotiviert in die Saison. Sie möchte ihre persönliche Bestleistung um acht Hundertstel verbessern und sich so mit einer Zeit von 55:50 Sekunden für die WM in Berlin qualifizieren. "Das ist eine große Herausforderung und kein Selbstläufer", meint die 28-Jährige, die bei den deutschen Meisterschaften in Ulm eine Medaille, am liebsten die goldene, gewinnen will. Ihr Vereinskollege Simon Kirch (29) hat ähnliche Pläne. Für den Routinier ist "eine WM immer der Höhepunkt des Jahres". Zu Beginn der Saison wird der 400-Meter-Läufer die Norm von 45:55 Sekunden noch nicht angreifen können. Doch er ist zuversichtlich: "Wenn es so läuft wie letztes Jahr, müsste das klappen mit der Norm." Auf jeden Fall aber will er mit der deutschen 4x400-Meter-Staffel im Olympiastadion laufen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort