Fußball Der Weg vom Rasen an den grünen Tisch

Saarbrücken · Andreas Abel war Vertragsamateur beim 1. FC Saarbrücken. Dann wurde er Anwalt und Sportrichter beim Deutschen Fußball-Bund.

 Kniffliger als ein Tipp-Kick-Spiel: DFB-Sportrichter Andreas Abel, hier in seiner Saarbrücker Anwaltskanzlei, entschied auch schon über Auf- und Abstieg.

Kniffliger als ein Tipp-Kick-Spiel: DFB-Sportrichter Andreas Abel, hier in seiner Saarbrücker Anwaltskanzlei, entschied auch schon über Auf- und Abstieg.

Foto: Oliver Dietze

Es scheint alles vorbereitet zu sein. Auf dem langen Konferenztisch steht ein Tipp-Kick-Spiel. Zwei Figuren, eine gelb-schwarz lackiert, die andere rot-weiß. Ein unerwarteter Anblick in der zweckmäßig eingerichteten Kanzlei. Wäre Andreas Abel, der Anwalt am Tisch, nicht Sportrichter beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Stellt der 44-Jährige hier Platzverweise aus der Bundesliga nach? Nein. Die Spielfiguren gehören einem Anwaltskollegen, beteuert Abel, nicht ihm – wie die Fan-Tröte in der Ecke. Die Fälle, mit denen sich der Richter befasst, sind kniffliger als ein Tipp-Kick-Spiel.

Ohne das DFB-Sportgericht in Frankfurt geht im Profifußball nichts. Eine Rote Karte – schon sind die Juristen gefragt. 22 Platzverweise gab es in dieser Saison in den oberen drei Ligen. Zum Rückrundenstart der Bundesliga am vergangenen Wochenende kam keiner dazu. Mehr als 100 Urteile verhängten die Sportrichter im selben Zeitraum gegen Vereine – wegen „Zuschauerfehlverhaltens“. Sie ahndeten Ausschreitungen wie im vergangenen Herbst beim Auswärtsspiel von Hertha BSC in Dortmund, Hassbotschaften auf Tapetenrollen – oder Pyrotechnik in den Blöcken.

„Da kommst du zu Grundsatzfragen“, sagt Abel. „Für die Ultras gehört Pyrotechnik zur Kultur des Fußballs.“ Andere wiederum, wie er Familienvater, fürchten um die Sicherheit ihrer Kinder. In der Vergangenheit konnte das Sportgericht den Clubs empfindlich wehtun, Teile ihrer Fans von Spielen ausschließen. Auch „Geisterspiele“ ohne Publikum hat es zumindest in der 2. Liga schon gegeben. Doch: Im August 2017 ließ DFB-Präsident Reinhard Grindel die berüchtigten „Kollektivstrafen“, die auch Unbeteiligte trafen, überraschend aussetzen. So begegnete er massiven Protesten aus den Kurven, den Bannern, auf denen mitunter „Krieg dem DFB“ stand.

In die verbandsinterne Rechtsprechung wollte sich der DFB-Boss zwar nicht einmischen, betonte er. Trotzdem nahm Grindel der Fußball-Justiz ein scharfes Schwert. „Natürlich handelt es sich um Kollektivstrafen“, sagt Abel über ausgesperrte Zuschauer. „Auf der anderen Seite muss die Strafe spürbar sein und dazu führen, dass sich das Fehlverhalten in Zukunft ändert.“ Soweit die Theorie. Was die Praxis betrifft, folgt Abel dem Präsidenten. Aus der Sicht des Juristen haben die Sanktionen nicht zu mehr Einsicht bei den Problemfans geführt.

Heute existiert ein Strafenkatalog. Ein Bengalo in der 3. Liga – das macht 350 Euro. In der Bundesliga wären es 1000 Euro. Muss ein Spiel unterbrochen werden, wird es teurer. Für Banner oder Transparente mit „unsportlichen Botschaften“ gelten Quadratmeterpreise. Mittlerweile gilt der Leitgedanke der „täterorientierten Sanktionierung“ – anstelle der Bestrafung einer ganzen Fanszene. Findet ein Verein den oder die Täter, bekommt er einen Strafrabatt. „Wir bestrafen einen Verein, weil etwas vorgekommen ist“, erklärt Abel. „Wir honorieren es aber, wenn er zusammen mit der Polizei nachher Täter ermittelt.“ Dafür räumt man möglichst viel Zeit ein.

Über die Strafen entscheidet Hans E. Lorenz, der Vorsitzende des Sportgerichts, meist als Einzelrichter. Schriftlich. Wenn es kompliziert wird, kommt es zu einer mündlichen Verhandlung. Dann klingelt bei Abel das Telefon. Nicht immer, aber regelmäßig. Zwei bis drei Tage im Jahr verbringt der Rohrbacher am Gericht des weltgrößten Sportfachverbandes. Als einer von sechs Beisitzern aus den DFB-Regionalverbänden. Auch die Deutsche Fußball-Liga (DFL), die Dachorganisation der Profivereine, hat einen Vertreter am Richtertisch.

Oft befasst sich das Sportgericht mit Vorfällen, über die sich Millionen am Fernseher längst ein Urteil gebildet haben. Oder die in Zeitungen und Fanforen heiß diskutiert werden. In der Öffentlichkeit stehen Sportrichter trotzdem selten. Abel erinnert sich an 2012, als er sein Gesicht plötzlich in einem Berliner Boulevardblatt entdeckte. Neben dem seiner Richterkollegen. Darüber stand: „In ihren Händen liegt Herthas Schicksal.“ Abel sagt: „Da war der Druck schon extrem.“

Was war geschehen? Am 15. Mai 2012 war Hertha BSC aus der Bundesliga abgestiegen – nach einem 2:2 im Relegationsspiel bei Fortuna Düsseldorf. Eine hitzige Partie, die mehrfach unterbrochen werden musste, sodass die Nachspielzeit sieben Minuten betrug. Doch: Bevor diese abgelaufen war, stürmten Anhänger der Fortuna den Platz, es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis der Ball wieder rollte. Hertha legte Protest ein, das Spiel sei irregulär gewesen, argumentierten die Berliner. Man habe es nur zu Ende gebracht, um eine Eskalation zu verhindern. Wie würde das Sportgericht entscheiden? Abel hatte sich nach dem Skandalspiel mit Kommentaren zurückgehalten. Er wusste: Sollte sich der DFB bei ihm melden, würde ihn ein einziger Satz bei Facebook als Richter befangen machen. Der Anruf kam. „Das war im Rückblick die interessanteste Verhandlung, weil es um die Frage von Aufstieg und Abstieg ging“, erzählt Abel. Nach drei Tagen fiel das Urteil: Das Sportgericht wies den Einspruch der Herthaner gegen die Spielwertung zurück. Als Abel abends nach Hause kam, habe ihm sein Nachbar zugerufen: „Da waren gerade zwei Hertha-Fans, die haben Dich gesucht.“ Ein Scherz, über den der Sportrichter heute lachen kann.

Saarländer hat es im Rechtssystem des Profifußballs einige gegeben. Etwa Karl Schuberth, der Vorsitzender des Sportgerichts war. Oder Heinz Haupenthal, über Jahre beim Bundesgericht – der höchsten Instanz. Bekanntheit erlangte vor allem einer: Horst Hilpert aus Bexbach. Als Kopf des Kontrollausschusses war Hilpert der Chefankläger der Bundesliga.

Hilpert sei sein Mentor gewesen, sagt Abel. Er gewann ihn zunächst für den Rechtsausschuss des Saarländischen Fußball-Verbandes (SFV), der sich mit Satzungsfragen befasst, dann für ein Richteramt im Jugendbereich. Als Hilpert die Altersgrenze erreichte, folgte Abel beim DFB ihm nach – wenn auch nicht in der Rolle des Staatsanwaltes für die Stadien. Seit zwölf Jahren ist Abel nun Sportrichter in Frankfurt.

Aber wie kommt ein Fachanwalt für Erbrecht überhaupt zum Fußball? Abel war ein vielversprechendes Talent, in den frühen Neunzigerjahren stand er als Vertragsamateur im Profikader des 1. FC Saarbrücken. Trainer Peter Neururer holte ihn im Frühjahr 1993 von den Amateuren zur ersten Mannschaft – damals erste Liga. Man findet Abel auch im Kicker-Sonderheft zur Saison 1993/94 – auf dem Mannschaftsfoto, erste Reihe, fünf Plätze neben dem legendären Schnauzbartträger Wolfram Wuttke. Am Saisonende stand Abel als Einwechselspieler zwei Mal in der 2. Liga auf dem Platz. Als der FCS seinen Vertrag auflösen wollte, suchte Abel händeringend nach einem Rechtsbeistand mit Fußballkompetenz – vergeblich. Und fasste den Entschluss, nach dem Studium an der Saar-Uni selbst Sportanwalt zu werden. 2002 erhielt der Jurist seine Zulassung. Mandate aus dem Sport dagegen nicht. „Da habe ich festgestellt, dass du im Saarland im Sportrecht ein wenig in der Diaspora bist“, sagt Abel. Also betätigte er sich in den Verbänden.

Beim SFV hat der Anwalt sein Engagement zurückgefahren. Für seinen Sohn, dessen Jugendtrainer er bei der SG Hassel ist. Abel gehört auch dem Präsidium der SV Elversberg an. Beides kostet Zeit. Zugleich vollzieht der Ex-Fußballer beruflich einen „kleinen Wandel“, wie er sagt. Als die Basketballerinnen der Saarlouis Royals in der Bundesliga drei Punkte am grünen Tisch verloren, schalteten sie Abel ein. Auch im Amateurfußball übernahm er Mandate. Um sich nicht nur als Richter einen Namen zu machen, sondern auch als Sportanwalt – in einer Kanzlei mit Barbara Haupenthal, die für den FCS in der Bundesliga kickte, sich als Juristin beim DFB ausbilden ließ. Und mit einem Kollegen, der offenbar gern Tipp-Kick spielt.

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