Wanderer auf 250 Lebenswegen

Saarbrücken/Saargemünd · Ein doppeltes Freudenfest hat der Journalist Dieter Gräbner zu feiern: Seine SZ-Serie Lebenswege erscheint zum 250. Mal, er wird heute 75. Gräbner will die Wanderung entlang saarländischer Lebenswege fortsetzen.

 Dieter Gräbner (r.) ist auch ein fleißiger Buchautor. Hier im Frühjahr bei der Vorstellung seines Hermann-Röchling-Buchs mit Oskar Lafontaine. Foto: Becker&Bredel

Dieter Gräbner (r.) ist auch ein fleißiger Buchautor. Hier im Frühjahr bei der Vorstellung seines Hermann-Röchling-Buchs mit Oskar Lafontaine. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

. Dieter Gräbner hat diese Woche allen Grund zu feiern: Der Herzblut-Journalist wird heute 75 und am kommenden Samstag erscheint in der SZ-Wochenendausgabe der 250. Teil seiner erfolgreichen Serie "Lebenswege". Spätestens durch diese Serie, die im Zwei-Wochen-Rhythmus vor den Familienanzeigen platziert ist, ist Gräbner für die meisten Saarländer ein Begriff geworden. "Ach, diese Serie kennen wir", berichtet Gräbner schmunzelnd von den Reaktionen der Hinterbliebenen, die er aufsucht, um mit ihnen über das Leben des verstorbenen Angehörigen zu sprechen. Denn die "Lebenswege" fußen immer auf dem Tod eines Saarländers. "Ich suche nach Todesanzeigen, die einen besonderen Inhalt haben, nicht die gängigen der Beerdigungsinstitute . Hinter den individuellen Anzeigen steckt meistens eine interessante Lebensgeschichte", so Gräbner.

Eine solche hat auch der Familienvater Gräbner, der mit seiner Frau Angelika Fertsch und den 13-jährigen Zwillingen in Saargemünd wohnt. Gräbner musste früh harte Schicksalsschläge verkraften: Er überlebte als Fünfjähriger im Februar 1945 die Bombenhölle von Dresden, der Vater starb im Krieg, die Mutter war nach der Flucht in die neue Heimat Frankfurt schwer krank und konnte sich nicht um ihren Dieter kümmern. Der biss sich nach einer Ausbildung zum Speditionskaufmann, die ihn als jungen Burschen bereits nach Paris, Hamburg oder Helsinki führte, ab 1963 als Sportreporter (Rudern und Hockey) bei der FAZ durch, ehe er bei der Frankfurter Rundschau eine Festanstellung bekam. Erst Polizeireporter, dann Berichterstatter über die Studentenbewegung. "Ich habe Rudi Dutschke interviewt", erinnert sich Gräbner. Sein journalistischer Beruf führte ihn um die halbe Welt, ehe er 1992/93 bei der SZ anheuerte und bis zu seinem Unruhestand als Lokalchef in Saarbrücken blieb.

"Ich wollte die Serie Lebenswege mit lebenden Menschen bestreiten, doch dann hatte der Chefredakteur Peter Stefan Herbst die Idee mit den Todesanzeigen. Bei einer Berliner Zeitung lief das bereits sehr erfolgreich", erklärt Gräbner die Initialzündung zu seiner Serie. Dabei besucht er die Hinterbliebenen, schreibt die Lebenswege der Verstorbenen auf und lässt seinen Bericht später noch einmal von den Angehörigen gegenlesen, um sachliche Fehler zu vermeiden. "Das kann recht mühsam sein. Manchmal kommt es vor, dass die Angehörigen noch lange Zeilen dazu schreiben, weil ihnen noch so vieles im Nachhinein eingefallen ist. Das geht natürlich nicht, so viel Platz ist auch gar nicht da", erklärt Gräbner. Kann er sich an die Lebensgeschichte unter den 250 erinnern, die ihn am meisten berührt hat? Gräbner neigt den Kopf, schweigt ein paar Sekunden, drückt die Brille fest auf die Nasenwurzel. "Ja, da war eine Kriegerwitwe, die ihre fünf Kinder alleine großgezogen hat, dabei hatte sie nur eine Anstellung als Putzfrau. Und die Kinder sind alle etwas geworden. Ich werde nicht vergessen, wie sie mit mir am Tisch saßen und über die Lebensleistung ihrer Mutter berichteten", sagt Gräbner.

Dabei sind es immer wieder diese Kriegsschicksale, die Gräbner nicht loslassen. Er hat bereits zig Bände geschrieben, die sich mit den Kriegszeiten beschäftigen. Dabei trägt er offenbar ein besonderes Gerechtigkeits-Gen in sich. Noch als SZ-Redakteur sind er und seine Kollegen der Stadtredaktion mit dem Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet worden für die Berichterstattung über den Homburger Arzt Oskar Orth, der in der Nazizeit für 1400 Zwangssterilisierungen verantwortlich war und trotzdem noch lange Jahre Ehrenbürger in Homburg und Ensheim war. Der Polizei- und Justizskandal um den Burbacher Jungen Pascal Zimmer, der als Fünfjähriger am 30. September 2001 verschwand, berührte Gräbner tief, er schrieb 2008 ein Buch darüber. Ebenso über NS-Widerstandskämpfer und jüngst ein Buch über die Ungerechtigkeit, dass der NS-Kriegsverbrecher Hermann Röchling in Völklingen geehrt wird, die NS-Opfer dagegen nur als Randnotiz vorkommen.

"Die Lebenswege gehen weiter", sagt Gräbner. Der Serienschreiber ist fit. Beweis dafür: Er sucht einen neuen Tennispartner. "Ich bin nicht mehr so schnell", so Gräbner bescheiden. Aber die Augen funkeln.

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