Letzte Rettung vor der Nacht im Freien

Saarbrücken. Der große Raum in der früheren Gaststätte an der Malstatter Brückenstraße ist rappelvoll. 35 Männer und einige Frauen sitzen an den Tischen, trinken Kaffee, unterhalten sich. Sie warten auf das Mittagessen, das die Arbeiterwohlfahrt (Awo) ihnen kostenlos serviert. Bis zu 45 Essen gibt Karl-Heinz Dorscheid jeden Tag aus - 365 Tage im Jahr, ohne Ruhetag

Saarbrücken. Der große Raum in der früheren Gaststätte an der Malstatter Brückenstraße ist rappelvoll. 35 Männer und einige Frauen sitzen an den Tischen, trinken Kaffee, unterhalten sich. Sie warten auf das Mittagessen, das die Arbeiterwohlfahrt (Awo) ihnen kostenlos serviert. Bis zu 45 Essen gibt Karl-Heinz Dorscheid jeden Tag aus - 365 Tage im Jahr, ohne Ruhetag. "Am Monatsanfang kommen ein paar weniger, aber ab dem 15. geht die Zahl unserer Gäste rapide hoch. Je später der Monat, desto knapper das Geld", sagt der Herbergsvater. Ein Blick in Dorscheids Kochtöpfe macht Appetit. Die Nudeln mit Hackfleischsoße riechen verführerisch. Der Mittagstisch in der Notschlafstelle gehört für viele längst zum Tagesablauf. "Was Besseres gebbd's net. Doo kann ma sich met de Leit unnerhalle", sagt ein 53-Jähriger. Auch Günther N., 54, ist Stammgast. Zum einen, um der Einsamkeit vorzubeugen. Zum anderen aus handfesten finanziellen Gründen: "Ich bin Diabetiker. Da reicht das Arbeitslosengeld 2 hinten und vorne nicht." Neben dem Mittagessen hält die Notschlafstelle Übernachtungsmöglichkeiten bereit. Fünf Betten im Männerschlafzimmer, zwei Betten in einem getrennten Raum für Frauen. Das Angebot für weibliche Obdachlose ist im Großraum Saarbrücken ziemlich einzigartig. Zurzeit sind die Schlafräume voll belegt, eine Folge der kalten Nächte. Mehr als 500 Übernachtungen gab es im vergangenen Jahr.

Gründe, an die Tür zu klopfen, gibt es viele. Die Kälte zum Beispiel. Da heißt es weg von der Straße, ab ins Warme. Viele der Gäste haben sogar eine Wohnung, können diese jedoch nicht nutzen. Etwa weil der Lebenspartner ihnen den Zugang verweigert oder weil die eigenen vier Wände aus einem anderen Grund nicht bewohnbar sind. Selbst Frauen mit Kindern fragen um Hilfe. "Das Spektrum der Gäste hat sich in den letzten zehn Jahren völlig verändert", sagt Einrichtungsleiter Oliver-Marc Bungert. Die Zahl der typischen "Durchreisenden" sei stark zurückgegangen. Dafür wachse die Zahl der Hilfesuchenden aus Saarbrücken und Umgebung seit zwei bis drei Jahren kontinuierlich. Besonders stark geht die Zahl der Armen nach Einschätzung der Arbeiterwohlfahrt seit dem Winter 2007/2008 nach oben. Und Verarmung könne jeden treffen, insbesondere als Folge von Arbeitslosigkeit und nach einer Scheidung, sagt Bungert. Die Kosten von etwa 130 000 Euro pro Jahr für das Haus in der Brückenstraße tragen nach Bungerts Worten zu 80 Prozent das Land und zu 20 Prozent die Arbeiterwohlfahrt.

Herbergsvater Dorscheid kocht nicht nur und sorgt für Ordnung. Er ist auch erster Ansprechpartner bei Problemen. Er weiß, wie man sich beim Arbeitsamt meldet und was man tun muss, um eine Wohnung zu bekommen. Und doch gibt es niemandem das Gefühl, ihn zu etwas zu drängen. Kommt ein Neuer auf der Durchreise vorbei, fragt Dorscheid zunächst, ob er weiterziehen oder sich vielleicht in Saarbrücken niederlassen möchte. Will er das, dann hilft Dorscheid tatkräftig - bis hin zur Beschaffung und Einrichtung der Wohnung.

Auf diesem Weg gibt's viele Stolpersteine. "Die meisten wissen nicht, wie man einen Antrag ausfüllt", sagt Dorscheid. Wo er nicht weiter weiß, wartet Oliver-Marc Bungert mit einem ganzen Bündel an professionellen Hilfsangeboten auf. Die reichen bis zum Projekt "Leben, Wohnen, Arbeiten". Bungert hilft, in die Arbeitswelt reinzuschnuppern und zu testen, wieweit der Mensch belastbar ist, der da in der Brückenstraße Hilfe sucht. Und wie er sich den einen oder anderen Euro dazuverdienen kann.

 Herbergsvater Karl-Heinz Dorscheid reicht einem Gast ein Mittagessen. Foto: Iris Maurer

Herbergsvater Karl-Heinz Dorscheid reicht einem Gast ein Mittagessen. Foto: Iris Maurer

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort