„Inklusion überfordert Lehrer“

Saarbrücken · Ein Jahr vor der Einführung der Inklusion an weiterführenden Schulen üben die Realschullehrer im Saarland Kritik. Eine neue Verordnung sorge für Verunsicherung und gefährde das Wohl behinderter Kinder.

Die Inklusion, also die Eingliederung von Kindern mit Behinderung in Regelschulen, stellt die Lehrer vor große Herausforderungen - zu große, wenn es bei den jetzigen personellen und finanziellen Ressourcen bleibt, fürchtet der Verband Deutscher Realschullehrer im Saarland (VDR). "Inklusion, so wie sie geplant ist, wird genau das Gegenteil dessen erreichen, was sie anzustreben vorgibt. Die förderbedürftigen Schüler werden weniger Förderung bekommen als je zuvor", schreibt der VDR an das Saar-Bildungsministerium. Zuvor hatten die Gewerkschaften GEW und SLLV zu geringe Ressourcen für die Inklusion beklagt (wir berichteten).

Der VDR und seine Vorsitzende Inge Röckelein vertreten zudem die Ansicht, es habe der Gesetzesänderung im letzten Jahr, die die Inklusion zunächst an den Saar-Grundschulen und ab nächstem Schuljahr an den weiterführenden Schulen einführt, nicht bedurft. Das Bildungssystem sei bereits zuvor "inklusiv" gewesen. Die UN-Konvention, die Grundlage für die Einführung der Inklusion, schreibe vor, allen Kindern den Zugang zum "general education system" zu bieten. Förderschulen gehörten auch zu diesem "allgemeinbildenden Schulsystem".

Kritik übt der VDR auch an der am 3. August in Kraft getretenen Inklusionsverordnung von Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD ). Diese verunsichere Eltern, überfordere Lehrer und gefährde das Wohl von Kindern mit Behinderung, findet der VDR. Schulen sollen demnach "unter Ausschöpfung aller innerschulischen Ressourcen" für eine individualisierte schulische Bildung sorgen. Darüber hinaus werde eine Kooperation zwischen Regel- und Förderschullehrern vorgeschrieben. "Offen bleibt, wann die genannte Kooperation stattfinden soll? Gibt es dafür Stunden? Oder ist die Kooperation eine Arbeitszeitverlängerung ohne Gehaltsausgleich?", fragen die Realschullehrer und folgern: "Ohne zusätzliche personelle Ressourcen und ohne zusätzliche Systemzeit wird die Inklusion scheitern." Sie fürchten, dass die Förderschullehrer an Regelschulen fast ausschließlich die Regelschullehrer beraten und unterstützen. Dies gefährde den Lernerfolg der behinderten Kinder. Der Verband begrüßt es, dass Eltern weiterhin ein Wahlrecht zwischen Regel- und Förderschule für ihre Kinder haben. Doch die Verordnung enthalte den Vermerk, dass sich die Schulaufsichtsbehörde vorbehält, über einen Antrag der Eltern auf Umschulung in eine Förderschule zu entscheiden. "Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit die Wahlfreiheit in der Praxis tatsächlich gewährleistet wird."

Auch die stellvertretende Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, Michaela Günther, kritisiert die neue Verordnung: "Viele Neuerungen, die ab sofort umgesetzt werden müssen, wurden noch nicht kommuniziert." Die Verordnung bedeute einen höheren Verwaltungs- und Beratungsaufwand für die Lehrer.

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