Filmförderchef Peter Dinges „Die Leute haben das Sofa satt“

Berlin · Die Kinos sind seit Wochen zu. Warum Filmförderchef Peter Dinges dennoch an die Zukunft glaubt und gar einen Kinoboom vorhersagt.

Die Filmbranche hat ein katastrophales Jahr hinter sich. Einen solchen Stillstand habe es noch nicht gegeben, sagt auch Peter Dinges. Der gebürtige Saarbrücker ist Vorstand der deutschen Filmförderungsanstalt (FFA). Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt er, warum das Kino schwere Zeiten durchmacht – aber nach der Pandemie ein Revival erleben könnte.

Herr Dinges, wird das Kino überleben?

DINGES Ja, unbedingt. Es fragt sich allerdings, wie viele Kinos die Corona-Krise überstehen. Die Kinos zehren im Moment von ihrer Substanz. Und diese Substanz ist endlich. Die Kinos bekommen wie andere Unternehmen auch Soforthilfen. Aber die Frage ist, wie es weitergeht. Es wird nicht ewig staatliche Hilfen geben.

Wie groß sind die Verluste der Kinos 2020?

DINGES Wir haben im Sommer eine Untersuchung von der Unternehmensberatung PwC machen lassen. Damals wurde ein Verlust von circa 400 Millionen Euro geschätzt – allerdings vor dem zweiten Lockdown. Die Untersuchung ging davon aus, dass die Kinos im Dezember wieder voll spielen. Das war bekanntlich nicht der Fall. Daher gehe ich davon aus, dass die Verluste um einiges höher sein werden.

 Wen trifft die Krise härter: die großen Multiplexe oder die kleinen Programmkinos um die Ecke?

DINGES Sie trifft alle Kinos. Es betrifft die großen Ketten, denn sie haben hohe Fixkosten zu bewältigen. Wir haben aber auch kleine Kinos, die sich der gleichen Situation stellen müssen. Es ist eine Frage der Reserven. Ich bewundere den Mut vieler Betreiber, die die Situation insofern nutzen, als dass sie renovieren und sich auf die Zeit nach der Pandemie vorbereiten.

Nicht nur Kinos sind dicht, auch Filmstarts wurden mehrfach verschoben. Manche sagen, einen solchen Stillstand habe es noch nie gegeben, selbst im Zweiten Weltkrieg nicht. Richtig?

DINGES Das ist vollkommen korrekt. Es gibt in der Geschichte keine Situation, die die Kinos gleichermaßen hart getroffen hat.

Viele gucken jetzt daheim Filme bei Streamingdiensten wie Netflix, Amazon oder Mubi. Gewöhnen wir uns daran?

DINGES Das war ja die einzige Art, wie man zu Hause Film erleben konnte. Von daher bin ich dankbar, dass es überhaupt diesen Weg gab. Aber eines ist auch klar: Die Leute haben das Sofa satt. Sie wollen raus, sie wollen etwas erleben. Sie wollen sich mit Freunden treffen – und sie wollen auch wieder ins Kino. Das hat man sehr schön am letzten Wochenende, bevor die Kinos erneut geschlossen worden sind, gesehen. Das war eines der besten Kinowochenenden des Jahres.

Aber es galten auch da Abstandsregeln, viele Plätze mussten frei bleiben. Täuscht der Eindruck nicht vielleicht?

DINGES Die Leute haben Schlange gestanden für Tickets. Wir können also davon ausgehen, dass die Kinos voll gewesen wären. Wir sehen das auch, wenn wir den Blick über die Grenzen richten. China gilt ein wenig als Land, das die Pandemie hinter sich gelassen hat. Dort gibt es derzeit herausragende Kinozahlen. Im Sommer erlebten bei uns in Deutschland Autokinos einen Boom. Außerdem hatten wir 2019 – also kurz vor der Pandemie – die weltweit besten Kinoergebnisse, einen Box-Office-Rekord. Und diese 42,2 Milliarden Dollar sprechen ihre eigene Sprache. Warum soll sich das durch die Pandemie geändert haben? Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Wir werden nach Ende der Pandemie einen Kinoboom erleben. 

Aber lagen die guten Zahlen nicht auch daran, dass manche Weltregionen aufholen?

DINGES Natürlich gibt es Länder, die eine hohe Kinowachstumsrate haben. Dazu gehört natürlich auch China. Aber es ist trotzdem ein Hinweis darauf, dass nach einer überwundenen Pandemie die Leute nicht bei Streamingdiensten hängen bleiben, sondern rausgehen, um das Kino wieder zu erleben.

In den USA erleben wir große Debatten, weil Warner seine Blockbuster 2021 gleichzeitig in den amerikanischen Kinos und im eigenen Streamingdienst zeigen will. Warum ist das ein Aufreger?

DINGES Zunächst einmal steht dahinter natürlich Sorge – Sorge um die Exklusivität des Kinos. Kinobetreiber haben Sorge, dass sie ihre Inhalte nicht mehr exklusiv abspielen können, sondern dies in Konkurrenz zu Streamingangeboten tun müssen. Die Kinos, die natürlich bereits jetzt finanziell angeschlagen sind, brauchen aber die Exklusivität dieser Inhalte.

Weil sonst der Grund für den Kinobesuch wegfallen könnte. Manche befürchten ja auch einen Dammbruch – nämlich dass Kinofilme auch in Zukunft gleich online abrufbar sein könnten. Wie sehen Sie das?

DINGES Hollywoodstudios wie Warner und Disney haben Filme produziert, die während der Pandemie als totes Kapital daliegen. Und so schade ich es finde, dass großartige Filme nicht ausschließlich im Kino gezeigt werden, so sehr habe ich ein gewisses wirtschaftliches Verständnis dafür. Hier versucht man, das Beste aus der Situation zu machen und Umsätze zu generieren. Also sehe ich den Kurs von Streamingdiensten wie Disney+, HBOMax und Peacock als vorübergehende Ausnahmesituation. Und ich glaube, dass sich das nach Ende der Pandemie wieder ändern wird.

Aber warum?

DINGES Die Gewinne, die aus dem Kino erzielt werden können, sind einfach zu eindeutig. Wenn wir mal einen Blockbuster der weltweiten Top Ten nehmen, der im Durchschnitt ungefähr 200 Millionen Dollar kostet, dann generiert der in der Regel das Siebenfache als Wertschöpfung aus der globalen Kinoauswertung. Selbst wenn man bestimmte Kosten abziehen muss und nicht alles beim Produzenten ankommt, ist das ein Geschäft, das die Studios machen wollen. Von daher gehe ich davon aus, dass allein die wirtschaftliche Vernunft dazu führen wird, dass Filme nach der Pandemie wieder exklusiv im Kino laufen werden.

Halten Sie es auch in Deutschland für wahrscheinlich, dass viele Produktionen gleich ins Internet abwandern?

DINGES Ich halte das für Deutschland für unwahrscheinlich. Bei US-Blockbustern gibt es einen weltweiten Starttermin, europäische Filme treten ihre Reise um die Welt langsam an – von Festival zu Festival, von Land zu Land. Hinzu kommt, dass in Deutschland und Europa sehr viel Fördergeld in Film investiert wird. Es geht hier um Film nicht nur als Geschäft, sondern als septième art, als siebte Kunst. Und diese Investitionen erfordern auch, dass man dem Kino eine Exklusivität einräumt. Am Ende stehen dem auch staatliche Regelungen entgegen.

Weil viele Filme, die deutsche Filmförderung bekommen, nach den Vorgaben erst exklusiv ins Kino kommen müssen?

DINGES Ganz genau.

Nicht nur die Kinos in Deutschland sind geschlossen, auch Dreharbeiten sind schwierig, oder?

DINGES  Dieses Jahr war für alle ein Katastrophenjahr. Aber die Produzenten, die Autoren, die Filmschaffenden haben gezeigt, dass sie auch in einer Pandemie arbeiten können. Das hat mich positiv überrascht. Natürlich gab es auch Pandemiefälle am Set, aber die waren überschaubar dank strenger Hygienerichtlinien. Es entstehen also großartige Filme, die morgen wieder die Kinos füllen werden.

Wann sehen wir denn den neuen „James Bond“?

DINGES Auf den warte ich ebenfalls ganz ungeduldig. Niemand weiß, was die nächsten Wochen und Monate bringen. Irgendwo zwischen dem Optimismus, den der neue Impfstoff verbreitet, und den Nachrichten, die wir täglich hören, von möglichen Mutationen und anderen Dingen. Aber ich hoffe, dass der neue „Bond“ sehr bald kommt, denn er wird mit Sicherheit ein Kassenschlager. Und dann werden wir das erleben, was ich vorhin schon sagte: einen neuen Kinoboom.

  Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA), bewundert den Mut vieler Betreiber.

Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA), bewundert den Mut vieler Betreiber.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Aber vielleicht landet der auch gleich im Streamingdienst?

DINGES Ich hoffe es nicht. Bisher zeigten sich die Produzenten des neuen „Bond“ geduldig, weil sie natürlich um die Stärke des Marktes wissen. Und ihnen klar ist, dass der neue „Bond“ ein Kinotitel Nummer eins ist, der die Leinwand braucht. Und das Kino braucht den neuen „Bond“. Also: Hoffentlich nicht auf einem Streamingdienst.

(dpa)
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