Interview mit Maik Brüggemeyer Über Popsongs, die Zeitgeschichte erzählen

Merzig · Der Journalist und Autor stellt sein neues Buch „I’ve been looking for Frieden – Eine deutsche Geschichte in zehn Songs“ in Merzig vor.

 Maik Brüggemeyer

Maik Brüggemeyer

Foto: Friederike Göckeler

70 Jahre besteht die Bundesrepublik Deutschland. Für Maik Brüggemeyer, Redakteur beim „Rolling Stone“, war dies Anlass, sich mit der deutschen Geschichte zu befassen – und zwar anhand von Popsongs. Daraus ist ein Buch entstanden, das am Beispiel von zehn Liedern wichtige Aspekte der vergangenen 70 Jahre nachzeichnet. Das Buch „I’ve been looking for Frieden“ stellt er am Freitag, 26. April, in „Das Bad“ in Merzig vor. Vor seiner Lesung sprach der Autor über die Auswahl der Lieder für sein Buch und darüber, warum es immer spannend ist, über Popmusik zu diskutieren.

Herr Brüggemeyer, Sie stellen in Merzig Ihr Buch „I’ve been looking for Frieden“ vor. Darin beleuchten Sie die deutsche Geschichte anhand von zehn Pop-Songs. Nach welchen Kriterien haben Sie die Lieder ausgesucht?

BRÜGGEMEYER Zunächst habe ich geschaut, wie sich die bundesdeutsche Geschichte in verschiedene Epochen einteilen lässt. Dann habe ich geschaut, welche Lieder damals populär waren und anhand welcher davon ich Lust hätte, Geschichten zu erzählen. Das Entscheidende war die Erzählung und dass die Songs allgemein bekannt sind – das gilt zumindest für die meisten der Stücke, es gibt aber zwei, drei Ausnahmen.

Ist unter den Liedern eins, das Ihnen selbst besonders wichtig ist?

BRÜGGEMEYER Es sind keine Lieblingslieder, die ich privat besonders gern höre. Wobei ich sagen muss, dass ich die Lieder von Franz Josef Degenhardt sehr mag, deshalb habe ich sein „Deutscher Sonntag“ ausgewählt. Und die Krautrock-Band Can mag ich seit Studienzeiten, die sind mit dem Song „Father Cannot Yell“ vertreten. Vermutlich sind genau diese beiden Stücke die unbekanntesten in meinem Buch und zugleich die, die mir am nächsten sind.

Der Titel des Buches „I’ve been looking for Frieden“ spielt auf David Hasselhoff an – warum haben Sie diesen Titel ausgewählt?

BRÜGGEMEYER Das erste Kapitel, das ich schrieb, war das zur deutschen Einheit und zu dem Song „I’ve been looking for freedom“. Es gibt ja den Mythos, dass David Hasselhoff die deutsche Mauer niedergesungen hat. Es hat mir Spaß gemacht, zu schauen, was da dran ist und wie man das erzählen kann. Hasselhoffs Version des Songs stammt zudem aus der Zeit, in der ich zum ersten Mal bewusst deutsche Geschichte wahrgenommen habe. Gleichzeitig hatte ich den Verhörer, den viele Leute hatten: „Frieden“ anstatt „freedom“. Und da die Suche nach Frieden mir das zentrale Motiv der bundesdeutschen Geschichte nach 1945 zu sein scheint, ist das dann der Titel des Buches geworden.

Sie ordnen die Lieder ja in einen politischen oder gesellschaftlichen Kontext ein. Kann – oder sollte – man das mit jedem Pop-Song machen?

BRÜGGEMEYER Man kann es auf jeden Fall. Bei manchen ist das vielleicht ein wenig mehr Aufwand (lacht). Lieder spiegeln natürlich immer irgendwie die Zeit ihrer Entstehung wider. Aber es gibt Lieder, die den Zeitgeist stärker kommentieren als andere.

In Ihrem Buch haben Sie auch Lieder von Künstlern ausgewählt, die als Personen immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen sind – zum Beispiel Xavier Naidoo oder Rammstein. War das Absicht?

BRÜGGEMEYER Nein. Ich habe das von den Liedern her gedacht. „Dieser Weg“ von Xavier Naidoo steht wie kein anderes Lied für das so genannte deutsche Sommermärchen, insofern habe ich es ausgewählt. Es ist natürlich ein schöner Nebenschauplatz, dass Naidoo mit Reichsbürgern sympathisiert und die Bundesrepublik Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennt. Aber das war nicht der Grund, diesen Song auszuwählen. Das war bei Rammstein auch so: Ich dachte mir, dass der Song „Links, 2, 3, 4“ und die ganze Geschichte der Band etwas aussagt über die deutsche Wiedervereinigung und darüber, wie man danach über Deutschland gedacht hat.

Stichwort Rammstein: Der neue Videoclip der Band zu dem Lied „Deutschland“ ist gerade sehr stark in der Diskussion. Ist die Kritik daran gerechtfertigt?

BRÜGGEMEYER Natürlich kann man kritisieren, dass Rammstein den Song angekündigt haben, indem sie einen Videoschnipsel gezeigt haben, in dem man die Bandmitglieder als KZ-Häftlinge sieht. Andererseits finde ich – auch wenn ich das Lied nicht besonders spannend finde – die Idee, unser Bild von Deutschland und deutscher Geschichte in einem Song zu thematisieren, nicht uninteressant. Ich finde auch nicht, dass Kunst in jedem Fall tun muss, was politisch korrekt ist. Diese Art der Irritation ist interessant. Musik wird ja erst dadurch zu Popmusik, dass man sich damit auseinandersetzt.

Muss man über Popmusik reden oder gibt es Lieder, die tatsächlich nicht genug dafür hergeben?

BRÜGGEMEYER Ich finde, es lohnt sich, über jede Form von Popmusik zu sprechen. Man erfährt viel über die Stimmung in einem Land, wenn man schaut: Welche Musik wird da produziert? Welche Lieder werden von den Leuten geliebt? Und wenn man jemanden kennenlernt, kann man über ihren oder seinen Musikgeschmack nicht selten einen ziemlich guten Einblick in ihre oder seine Persönlichkeit bekommen.

Es gibt ja auch Bands, die sich betont gesellschaftskritisch oder politisch geben – zum Beispiel im Bereich „Rock gegen rechts“. Ist das noch interessant oder ist das so inszeniert, dass man gar nichts mehr daraus ableiten kann?

BRÜGGEMEYER Inszeniert war und ist Popmusik ja immer – es geht nicht um Authentizität und wenn doch, dann ist auch die inszeniert. Musik ist ein Medium, das ein Gemeinschaftsgefühl und in gewisser Weise wohl auch Solidarität schaffen kann. Natürlich finde ich es gut, wenn junge Bands sich gegen rechts in Stellung bringen.

Haben Sie vor, irgendwann nachzulegen und in einigen Jahren die weitere Geschichte anhand von Musik nochmal zu analysieren?

BRÜGGEMEYER Das könnte sein. Ich denke, ich würde aber nicht nochmal denselben Ansatz wählen. Ich weiß nicht, ob Popmusik auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch das Medium sein wird, das unsere Gesellschaft am besten erzählt, oder ob es andere Medien gibt, die das besser tun. Vielleicht muss man sich dann Instagram-Stories suchen, die erfolgreichsten Tweets oder die meistgeklickten Katzenvideos.

Zurück zu dem konkreten Termin Merzig: Sie stellen ihr Buch vor, dazu gibt es eine musikalische Umrahmung und die Möglichkeit des Kerzenscheinschwimmens. Wie genau ist es zu dieser Kombination gekommen?

BRÜGGEMEYER Wie das entstanden ist, weiß ich nicht – ich bin ja nur ein Teil des Spiels (lacht). Ich werde einfach mit meinem Buch aufkreuzen und lesen, und ich freue mich schon darauf. Ich habe schon öfter in einem etwas ausgefallenen Rahmen gelesen – je ausgefallener die Veranstaltung war, desto mehr Spaß hatte ich meist auch.

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