Literaturtage im Saarland „In Summe bleibt das Unglück immer gleich“

Saarlouis · Vom Unterwegs-Sein und der Plackerei mit der Liebe: Michael Kumpfmüller liest am Donnerstag in Saarlouis aus „Tage mit Ora“.

 Michael Kumpfmüller stellt bei den Literaturtagen „Erlesen“ in Saarlouis seinen Roman „Tage mit Ora“ vor.

Michael Kumpfmüller stellt bei den Literaturtagen „Erlesen“ in Saarlouis seinen Roman „Tage mit Ora“ vor.

Foto: Joachim Gern

In seinem aktuellen Roman „Tage mit Ora“ schickt Michael Kumpfmüller den Ich-Erzähler und die Kunstschneiderin Ora, beide ziemlich desillusioniert und durchtherapiert, was Liebe und Beziehungen angeht, auf einen Spontanurlaub in die USA. Sie kennen sich eigentlich nicht, sie haben sich Nachrichten geschrieben, mal zusammen gegessen, und nun dieses Abenteuer. Ein ungewöhnliches Paar, schräge Situationen, durchaus auch schwere Themen, charmant und mit leichter Hand erzählt, machen die Faszination dieses Buches aus.

Herr Kumpfmüller, „Tage mit Ora“ ist sozusagen ein Roadmovie in Buchform, dieser Trip an der Westküste der USA ist ja geradezu klassisch – Sie selbst reisen auch viel, beruflich und privat, ist das für Sie auch irgendwie ein Sehnsuchtsort?

KUMPFMÜLLER Das eigentlich nicht, aber wir haben die Bilder, wie es da aussieht, ja schon alle im Kopf. Ich habe lange gebraucht, mich davon zu befreien, auf Reisen irgendwelche Listen mit Sehenswürdigkeiten abzuarbeiten, das hat ja mit Reisen nichts zu tun. Wenn ich die besten Hotspots von New York sehen will, kann ich zuhause am Computer bleiben. Es geht ja vielmehr um diese kleinen, ungeplanten Situationen, um das, was passiert, wenn man für sich zur Ruhe kommt an einem Ort, um die Menschen, die man trifft, die Begegnungen, die man hat. Und so geht es mir in „Tage mit Ora“ auch weniger darum, Amerika zu zeigen, sondern die Landschaft ist eine Art Filmkulisse, vor der sich die Geschichte dieser beiden Liebenden entwickelt. Und der Schauplatz war vorgegeben durch den Song „June on the West Coast“ von Bright Eyes, der Oras Lieblingssong ist.

Bright Eyes sind eine Band aus Nebraska, musikalische Geschichtenerzähler mit sehr persönlichen, oft melancholisch-poetischen Texten – welche Rolle spielt die Musik für Sie?

KUMPFMÜLLER Schon eine besondere, das liegt ja auf der Hand. Der Song setzt ja die Reise mit in Gang. Ich kenne diese Band schon lange, sie beziehungsweise ihre Musik begleitet mich seit vielen Jahren, der Typ, dieser Conor Oberst (der Leadsänger, Anm.d.Red.) ist so ein Verzweifelter, und ich mag ihre Texte.

Und so wie die Landschaft die Kulisse bildet, ist die Musik der Soundtrack zu dieser Reise, die eine Begegnung, ein Kennenlernen von Ora und dem Ich-Erzähler ist, die beide etwas von den Wirrnissen des Lebens beschädigt sind . . .

KUMPFMÜLLER Ja, sie sind Versehrte, beide sehr vorsichtig, aber trotzdem wagen sie diese Reise, um sich „richtig“ kennenzulernen – beim Reisen kann man nicht so gut voreinander weglaufen. Aber der Roman ist auch eine Komödie, er übertreibt das Glück, und auch das Unglück. Meine Überzeugung ist, dass wir alle ab, sagen wir mal, 40, irgendwie versehrt sind, jeder hat seine Erfahrungen und Geschichten, die man nicht einfach vergessen kann. Es geht um die Wunschmaschinen und um die Angstmaschinen, die in uns allen laufen, und je älter man wird, umso mehr erkennt man die. Und es geht darum, dass sie sich bei allen Zweifeln trotzdem trauen, sich auf den anderen einzulassen.

Also ist „Tage mit Ora“ auch ein Buch, das Mut machen soll?

KUMPFMÜLLER Schon – wobei: Die Literatur soll immer Mut machen. Was nicht heißt, dass die Literatur irgendwelche Versprechungen macht, dass es dann auch klappt. Deshalb habe ich den Schluss ja bewusst freigelassen . . .

Man wünscht den beiden schon, dass sie nicht einfach aus dem Flugzeug steigen und jeder seiner Wege geht . . .

KUMPFMÜLLER Es ist auch ganz unterschiedlich, wie Leser darauf reagieren, einige sehen ein Happy End, andere sagen „Die werden nie ein Paar“ – aber das ist ja auch das Spannende, dass jeder aus der Geschichte seine Geschichte machen kann. Selbst wenn sie in Las Vegas geheiratet hätten, wäre die Frage, wie lange es währt, trotzdem offen.

Ist das in gewisser Weise auch dem Zeitgeist geschuldet, der – gefühlt – in sozialen Beziehungen so eine Unverbindlichkeit mit sich bringt, auch über die sozialen Medien?

KUMPFMÜLLER Ich glaube nicht, dass der Roman in dieser Hinsicht moralisch ist, aber dass er darauf reagiert. Natürlich bleiben viele heute eher im Suchmodus, ob sich nicht was Besseres findet, früher hatte man vier Freunde, heute 2800, die Optionen sind ja ganz andere. Ich möchte kein apokalyptischer Sänger sein, diese Ehen aus den 50er Jahren, die alle so toll halten, waren ja auch nur anders organisierte Katastrophen. Ich glaube, in der Summe bleibt das Unglück immer gleich. Der Ich-Erzähler sagt ja „Meine Einladung zum Reisen war ja eine Einladung zum Leben gewesen, zum Versuch damit, doch vielleicht würde sich herausstellen, dass die Reise unser Leben war, eine komprimierte Fassung davon.“ Wir leben episodisch. Und glauben oft, das Leben sei uns noch etwas schuldig. Es gibt erfüllte Zeiten, es gibt weniger erfüllte Zeiten – und dass es am Ende gut ausgeht, hat uns ja keiner versprochen.

Eine Reise ganz anderer Art haben Sie gemacht, als Sie das Wagnis eingingen, vom Journalismus zum freien Schriftsteller – gab es da seine Art Schlüsselerlebnis?

KUMPFMÜLLER Ich habe studiert, als freier Autor gearbeitet, hatte immer gleich wenig Geld – und wollte immer das sein, was ich seit 20 Jahren bin: jemand, der vom Schreiben leben kann. Als mein erster Sohn geboren wurde, hatte ich als junger Vater eigentlich so wenig Zeit wie noch nie. Aber irgendwie war das wie ein Weckruf, keine Ausreden mehr, worauf wartest du? Und dann ging’s los – ich glaube, wenn man einen Traum hatte, und es dann nie versucht zu haben, das würde man sich nie verzeihen.

Schreiben im stillen Kämmerlein ist ja nun das Eine, Lesen vor Publikum eine ganz andere Sache – wie gehen Sie damit um, bereiten Sie sich auf eine Lesung besonders vor?

KUMPFMÜLLER Das Lesen ist ein zweiter Beruf. Ich lese gerne vor, beantworte Fragen, mag den Kontakt mit dem Publikum. Meinen drei Söhnen habe ich viel vorgelesen, und das dabei ganz gut gelernt. Vorlesen ist eine intime Form, mit jemand zu kommunizieren. Literatur kommt ja aus dem Mündlichen, das Aufschreiben überlieferter Erzählungen, insofern ist es auch eine Rückkehr an den Ursprung.

Michael Kumpfmüller liest aus „Tage mt Ora“ am Donnerstag, 4. April, 19.30 Uhr, im Theater am Ring, Saarlouis. Der Eintritt kostet acht, ermäßigt fünf Euro, Tickets bei Bock und Seip Saarlouis, Tel. (0 68 31) 50 07 60, und bei Ticket regional.

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