SZ-Duell zur Europawahl Grüne vs. AfD Wie viel Klimaschutz ist notwendig?

Der Chemie-Professor und Grünen-Politiker Gerhard Wenz und der AfD-Abgeordnete Lutz Hecker trafen bei der SZ aufeinander.

 (Symbolbild)

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Foto: ZB/Patrick Pleul

Herr Hecker, gibt es einen Klimawandel?

HECKER Die AfD bestreitet selbstverständlich nicht den Klimawandel. Wir wissen natürlich auch, dass es einen Klimawandel gibt, seitdem die Erde existiert. Was wir bestreiten, ist, dass menschengemachtes CO2 ein wesentlicher Treiber des Klimawandels ist.

WENZ Nein, natürliche Temperaturänderungen, die die Erde gemacht hat, waren viel, viel langsamer. In den 7000 Jahren vor der Klimawende ist die mittlere Erdtemperatur gar um 0,5 bis 1 Grad gesunken. Außerdem ist die CO2-Konzentration in der Luft deutlich gestiegen.

 Gerhard Wenz, Professor für Chemie, Europakandidate der Grünen im Saarland, beim SZ-Duell im kleinen Konferenzraum der SZ

Gerhard Wenz, Professor für Chemie, Europakandidate der Grünen im Saarland, beim SZ-Duell im kleinen Konferenzraum der SZ

Foto: Robby Lorenz

HECKER Warmzeiten hat es immer wieder gegeben, zur Zeit der Römer oder im Mittelalter.

 Lutz Hecker, Abgeordneter der AfD im saarländischen Landtag, beim SZ-Duell im kleinen Konferenzraum der SZ

Lutz Hecker, Abgeordneter der AfD im saarländischen Landtag, beim SZ-Duell im kleinen Konferenzraum der SZ

Foto: Robby Lorenz

WENZ So hat das die Erde zuletzt in der Eem-Warmzeit vor 120 000 Jahren erlebt – und nicht mit der Geschwindigkeit. Die mittelalterliche Warmzeit war ein lokales Phänomen in Grönland und Westeuropa, kein globales.

HECKER Das ist nicht belegbar. Und weder die Geschwindigkeit des Temperaturanstieges noch die Temperaturen in den letzten 70 Jahren sind selbst in historischen Zeiträumen einmalig.

WENZ Die Erwärmung in Grönland, die wir jetzt haben, beträgt vier Grad. Das ist mindestens das Vierfache von dem, was wir in der mittelalterlichen Warmzeit hatten.

Welche Erklärung für den Temperaturanstieg haben Sie, Herr Hecker?

HECKER Wir wissen, dass es verschiedene Zyklen der Sonnenaktivität gibt. Nur wird die Forschung darüber in Deutschland nicht gefördert. Die Sonnenaktivität hat nach unserer Ansicht einen wesentlich größeren Einfluss auf das Klima als das anthropogene CO2 in der Atmosphäre.

Die große Mehrheit der Klimaforscher sieht das anders.

HECKER Die Aussage ist falsch. Sie basiert auf der Metastudie aus dem Jahr 2011. Mehr als 50 Prozent der Studien wurden nicht berücksichtigt, weil sie sich nicht klar dazu geäußert haben, ob anthropogenes CO2 ein Treiber des Klimawandels ist. Vom Rest der Studien waren 97 Prozent der Meinung, dass CO2 der wesentliche Treiber ist. Es gibt kein Ende der Debatte.

WENZ Dadurch, dass man eine Unwahrheit ständig wiederholt, wird sie nicht wahrer. Ein Wissenschaftler, der wissentlich eine Falschmeldung publiziert, ist weg vom Fenster. Wissenschaftlern geht es um die Wahrheit. Es ist völlig unbestritten, dass die Klimakrise vom Menschen gemacht ist. Bei der Weltklimakonferenz in Paris 2015 hat sich die ganze Welt getroffen, um gegen den Klimawandel anzukämpfen. Denken Sie, die hätten das getan, wenn das eine Zeitungsente gewesen wäre? Ich lasse nicht stehen, dass Wissenschaftler Handlanger der Politik sind. Das Ozonloch wurde auch von Wissenschaftlern festgestellt. Dann wurde FCKW verbannt, und jetzt ist das Ozonloch weg. Damals hat die Politik noch auf die Wissenschaft gehört.

HECKER Es gibt zum komplexen System Klima keine abschließende Wahrheit. Wir wissen unter anderem aus Eiskernbohrungen, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre eben nicht die Erderwärmung treibt, sondern mit mehreren hundert Jahren Nachlauf eine Folge davon ist.

WENZ Ich bin da anderer Meinung. Es wird oft argumentiert, dass die kleine CO2-Konzentration von 0,4 Promille in der Luft nicht relevant ist. Aber als Chemiker weiß ich, dass kleine Konzentrationen große Wirkungen haben können. Wenn Sie 0,4 Promille Alkohol im Blut haben, verhalten Sie sich auch anders als mit null Promille. Zudem ist der Mechanismus, wie das CO2 die Atmosphäre erwärmt, verstanden.

Wenn der Mensch nicht für den Klimawandel verantwortlich ist, wie Sie sagen, Herr Hecker, sollte man sich dann sämtliche Klimaschutz-Maßnahmen schenken?

HECKER Selbst wenn man der Meinung ist, dass der Mensch maßgeblich dafür verantwortlich ist, selbst dann ist die Frage zu stellen, ob die Maßnahmen, die Deutschland weitgehend im Alleingang getroffen hat, sinnvoll und finanzierbar sind. Dazu ist zu klären, welche Auswirkung eine völlige Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft auf den Temperaturanstieg hätte. Wir reden über Milliarden und Billionen Euro, die unsere Schlüsselindustrien zerstören werden und die einen Effekt haben, der nicht messbar ist.

Was nutzen ehrgeizige Klimaschutz-Maßnahmen in Deutschland, wenn die Bundesrepublik nur für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, Herr Professor Wenz?

WENZ Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Wir können nicht bestimmen, was die anderen machen, aber wir können Vorbild sein. Es gibt ja auch Vorbilder: Die Schweiz, Schweden und Kalifornien sind viel weiter beim Klimaschutz als wir. Die Chinesen fangen auch an und bauten 2018 bereits zehnmal so viele Windmühlen wie die Deutschen. Die Energiewende schafft auch weltweit Arbeitsplätze.

HECKER Deutschland hat seinen CO2-Ausstoß seit 1990 vorwiegend durch den Zusammenbruch der DDR-Industrie um 27 Prozent reduziert. Weltweit hat er sich in dieser Zeit aber um 67 Prozent erhöht. Wir haben allein im Jahr 2018 einen höheren Anstieg der weltweiten Emissionen als das, was wir in Deutschland in einem Jahr ausstoßen. Deutschland ist völlig irrelevant. Aber es gehen mehr Arbeitsplätze in der Industrie verloren, als neue durch die so genannten erneuerbaren Energien geschaffen werden.

WENZ Die Dillinger Hütte produziert die Masten für die Windkraftanlagen und verdient gut daran. ZF hat in das neue Hybrid-Achtganggetriebe investiert und dafür einen Großauftrag erhalten, der die Arbeitsplätze für viele Jahre absichert.

HECKER Die Dillinger Hütte baut seit Jahren Personal ab. Die Saarschmiede ist eingemottet worden, weil in Deutschland niemand mehr Kraftwerke baut.

WENZ Wenn der Staat nur alte Industrien künstlich am Leben hält, landen wir später in der Sackgasse. Mir ist wichtig, dass der Strukturwandel im Saarland speziell für klimafreundliche Technologien gefördert wird.

Kann eine Volkswirtschaft innerhalb von wenigen Jahren aus der Steinkohle, aus der Atomkraft und aus der Braunkohle aussteigen?

WENZ Nicht in einem Jahr, aber in zehn Jahren. Deswegen bin ich für eine CO2-Steuer, um alternative Energiequellen noch besser wettbewerbsfähig zu machen. Ebenso muss die saarländische Stahlindustrie mit CO2-Importzöllen auf Billigstahl geschützt werden.

HECKER Eine CO2-Steuer lehnen wir ab. Beim Schutz unserer Stahlindustrie sind wir uns einig. Aber: Wir werden bis 2022 rund 26 Gigawatt Leistung aus Kernkraft, Steinkohle und Braunkohle verlieren und dann eine Unterdeckung an gesicherter Leistung haben. Bei schwierigen Wetterlagen im Winter werden wir nicht Atomstrom aus Frankreich beziehen können. Es ist vorprogrammiert, dass der Industriestandort dann nicht mehr mit ausreichend Strom versorgt werden kann.

WENZ Solche Ängste werden geschürt, um politischen Druck auszuüben. Das Einsparpotenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht, gibt es immer noch den Strom aus Biogas und erdgasgetriebenen Blockheizkraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung.

HECKER Wie wollen Sie die bis 2022 herstellen?

Belassen wir es an dieser Stelle dabei und sprechen über den Verkehr, der ja wesentlich zum CO2-Ausstoß beiträgt. Wie stellen Sie sich die Zukunft der Mobilität vor?

HECKER Neue Technologien müssen sich am Markt durchsetzen. Ich bin nicht der Meinung, dass die Mobilität der Zukunft auf Lithium-Ionen-Akkus beruht. Der größte Lithium-Vorrat liegt in der Atacama-Wüste. Um Lithium herzustellen, werden dort die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört. Bei der Kobalt-Förderung im Kongo gibt es Kinderarbeit und Arbeitsunfälle bis hin zu Todesfällen.

WENZ Die fossilen Rohstoffe werden oft mit noch größeren Umweltbelastungen, zum Beispiel durch Fracking, gewonnen. Ein großer Unterschied ist aber: Benzin wird verbrannt und ist dann weg, während das Lithium in der Batterie bleibt. Wenn die Batterie am Ende ist, kann man die Metalle wieder recyceln.

HECKER Wir haben derzeit ein paar zehntausend Elektro-Autos, es sollen mal mehrere Millionen werden. Das geht nicht mit Recycling, dazu benötigen Sie neue Rohstoffe.

Setzen Sie trotz der angestrebten CO2-Einsparungen weiter auf den Individualverkehr?

HECKER Selbstverständlich. Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie sich bewegen.

WENZ Das will ich auch nicht. Ich habe auch Spaß an Mobilität. Aber es gibt auch noch den Hybrid-Antrieb, die Wasserstoff-Brennstoffzelle und eine Vielzahl anderer intelligenter Lösungen. Elektromobilität eignet sich im städtischen Bereich. Für Langstrecken favorisiere ich die Bahn. In Deutschland ist die Bahn nur zu 55 Prozent elektrifiziert, ein Skandal! In der Schweiz ist die Bahn pünktlich. Dort werden im Jahr 362 Euro pro Bürger in das Schienennetz investiert, in Deutschland nur 69 Euro.

Werden in einigen Jahren alle mit Elektro-Autos herumfahren?

HECKER Diese Antriebsform wird sich nicht durchsetzen. Eine Batterie, die im Winter eine Reichweite von 100 oder 200 Kilometern hat und die stundenlang aufgeladen werden muss, wird schon an ihrer mangelnden Gebrauchstauglichkeit scheitern. Ich halte es jedoch nicht für ausgeschlossen, dass sich E-Mobilität mit weiterentwickelten gebrauchstauglicheren Akkus einen Marktanteil sichern kann.

WENZ Ich bin kein Fundamentalist und niemand, der den Diesel verteufelt. Seiner Zeit voraus war der Audi A2 mit Drei-Liter-Dieselmotor. Mit AdBlue ausgestattet wäre er eine Übergangslösung.

HECKER Der Diesel hat eine große Zukunft.

In diesem Punkt liegen Sie gar nicht so weiter auseinander.

HECKER Das liegt natürlich daran, dass der Herr Professor Wenz in diesem Punkt kein typischer Vertreter seiner Partei ist.

WENZ Mir ist wichtig, auch als Naturwissenschaftler zu argumentieren.

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