Streit über NS-Vergangenheit des Ex-Präsidenten der Saar-Ärztekammer Eine Frage der Ehre

Saarbrücken · Der Arzt Max Obé machte nicht nur unter den Nazis Karriere, sondern auch nach dem Krieg. Er wurde mit Ehrungen und Ehrentiteln überhäuft. Die soll er über 50 Jahre nach dem Tod wieder verlieren. Über den Umgang mit einem schwierigen Erbe.

 Dr. Max Obé war in der NS-Zeit oberster Medizinalbeamter an der Saar. Die Gesundheitsverwaltung hatte er ab 1936 aufgebaut. Historiker machen Obé allerdings für die Umsetzung von Euthanasie-Maßnahmen der Nationalsozialisten mitverantwortlich.

Dr. Max Obé war in der NS-Zeit oberster Medizinalbeamter an der Saar. Die Gesundheitsverwaltung hatte er ab 1936 aufgebaut. Historiker machen Obé allerdings für die Umsetzung von Euthanasie-Maßnahmen der Nationalsozialisten mitverantwortlich.

Foto: Landesarchiv

Der Mann, der ein paar Jahre zuvor noch oberster Amtsarzt des NS-Staates an der Saar war, erfreute sich nach dem Krieg höchster Wertschätzung. Die Ärztekammer machte Max Obé 1950 zum Präsidenten, später zum Ehrenpräsidenten. Als Sozialminister Paul Simonis ihm 1962 das Bundesverdienstkreuz ansteckte, streifte er Obés Wirken während der NS-Zeit in seiner Laudatio nur in einem Satz: Die Leitung der Gesundheitsverwaltung während des Krieges sei eine „erhebliche Belastung“ gewesen.

Heute wird Obé anders bewertet. Erst kürzlich entzog die Ärztekammer ihm posthum den Titel „Ehrenpräsident“. Nächste Woche wird die Saar-Universität ihm voraussichtlich die Ehrenbürgerwürde aberkennen. Die Staatskanzlei fragte beim Bundespräsidialamt sogar an, ob man dem Toten das Bundesverdienstkreuz entziehen könne. Die Antwort: Das sei rechtlich nicht möglich. Dafür lässt die Staatskanzlei prüfen, ob sie Obés Titel „Geheimer Sanitätsrat“ nachträglich einkassieren kann.

Wie ist es zu dieser Neubewertung gekommen? Vor elf Jahren veröffentlichte die Zahnärztin Gisela Tascher ihre an der Uni Heidelberg verfasste Doktorarbeit über das Gesundheitswesen an der Saar von 1920 bis 1956, sie leuchtete auch aus, wie Ärzte aus dem NS-Apparat nach 1945 Karriere machten. Taschers Befund war auch im Fall Obé eindeutig: Der sei nicht nur Mitglied der NSDAP und des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes gewesen, sondern als Chef der Gesundheitsverwaltung auch mitverantwortlich für Euthanasie-Maßnahmen wie Zwangssterilisationen, für die Erfassung, Begutachtung und Vernichtung von „Erbkranken“ und für die Bekämpfung von „Rassenmischung“.

Es vergingen Jahre, bis die Ärztekammer nun entschied, dass sie niemanden ehren will, der „Tod und Leiden von Menschen herbeigeführt, angeordnet und gnadenlos verwaltet“ hatte. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Universität.

Der emeritierte Informatik-Professor Reinhard Wilhelm las vor Jahren Taschers Buch und war „erschrocken“ von der braunen Gründungsgeschichte des ehemaligen Landesklinikums in Homburg. Vor zwei Jahren sei ihm bekannt geworden, dass etliche NS-belastete Personen Ehrentitel der Universität tragen. Er habe Uni-Präsident Manfred Schmitt von Obés Funktionen im Medizinsystem der Nazis berichtet und ihm vorgeschlagen, Obé von der Ehrenliste zu entfernen. „Herr Schmitt war dieser Anregung gegenüber sehr offen“, berichtet Wilhelm.

Auch dem Wadgasser Bürger Günter Schott, der seit Jahren für die Erinnerung an Euthanasie-Opfer kämpft, ließ die Sache mit Obé keine Ruhe. Er wandte sich im Frühjahr an die Ärztekammer, das Bundespräsidialamt, die Staatskanzlei und den Uni-Präsidenten. Es könne nicht sein, dass diejenigen, die „lebensunwerte“ Menschen ausgesondert hätten, für immer und ewig geehrt blieben. „Das hält die beste Demokratie nicht aus“, schrieb Schott.

Fragt man bei der Uni, wie es nun dazu kam, dass Obé seinen Ehrentitel verlieren soll, dann heißt es: Die Mail von Schott habe eine Rolle gespielt, ebenso die Anfrage des Informatik-Professor. Uni-Archivar Wolfgang Müller sichtete Obés Akte aus seiner Zeit als Lehrbeauftragter sowie Protokolle der Medizinischen Fakultät und des Senats. Obé lehrte nicht nur an der Uni, er hatte auch beim Aufbau der Hochschule eine wichtige Rolle gespielt.

Im fernen Singapur kann Alexander Obé nicht verstehen, was seinem Großvater gerade widerfährt. Taschers Bewertung von Dr. Max Obé stehe „in bemerkenswertem Gegensatz“ zur Nachkriegs-Bewertung seines Großvaters durch Ärztekollegen, Gesellschaft und die Justiz. Einer „Amateurhistorikerin“ wie Tascher Deutungshoheit zuzugestehen, sei unwissenschaftlich.

Alexander Obé bringt zur Verteidigung seines Großvaters vor, dieser sei nach dem Krieg nie verurteilt worden. Zwar wurde er wegen Zwangssterilisierung von Kindern deutscher Frauen und afrikanischer Besatzungssoldaten aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg angeklagt. Doch der Prozess endete 1949 mit einem Freispruch. 1943 und 1944 habe Max Obé nachweislich die Freilassung inhaftierter Ordensschwestern erreicht, schreibt sein Enkel, was aus seiner Sicht zeigt, dass er kein schlechter Mensch gewesen sein kann. Und: Der von den Nazis verhaftete Bartholomäus Koßmann, in der Völkerbundzeit Mitglied der Regierungskommission, für die Obé ab 1923 gearbeitet hatte, habe 1946 bei der Kriminalpolizei zu Protokoll gegeben, Obé habe seine „grundsätzliche Ablehnung gegenüber dem Nationalsozialismus … voll und ganz“ geteilt.

War Max Obé also gar kein Nazi? Tascher hat aus ihrer Sicht alles Notwendige dazu aufgeschrieben – in einer Arbeit übrigens, die mit einem renommierten Forschungspreis der Ärzteschaft und des Bundesgesundheitsministeriums ausgezeichnet wurde und die der Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs, Hans-Christian Herrmann, im Saarländischen Ärzteblatt als „großen Meilenstein der neueren saarländischen Landesgeschichte“ rezensierte.

Spricht man Taschers Doktorvater Wolfgang U. Eckart auf die Kritik des Obé-Nachfahren an, dann sagt er: „Das ist derart infam, dass ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehre.“ Der Professor war von 1992 bis 2017 Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Heidelberg. Tascher habe alles mit Quellen belegt und sauber gearbeitet, sagt er. Max Obé habe vielleicht nicht selbst Hand angelegt. „Aber das hat Adolf Eichmann auch nicht“, sagt Eckart. Obé gehöre in die Kategorie der „Schreibtisch-Täter“.

Nach dem Krieg wurde Obé 1950 zum Präsidenten der Ärztekammer gewählt. Das blieb er bis 1962, anschließend heimste er Ehrung um Ehrung ein. Als Obé 1969 starb, würdigte die Ärztekammer, die Auswirkung seiner „verantwortungsvollen Tätigkeit als ärztlicher Berater der saarländischen Regierung in den letzten drei Jahrzehnten“ zeigten sich noch heute in vielen sozialpolitischen Entscheidungen.

Ein Nervenarzt und Weggefährte Obés aus gemeinsamen Zeiten in der NS-Verwaltung, der nach dem Krieg stellvertretender Chefarzt der Landesnervenklinik Merzig wurde, durfte damals im Ärzteblatt auf einer ganzen Seite seine Erinnerungen schildern. Obé, schrieb er, sei ein „Verwaltungsgenie“ gewesen und habe „drei aufeinanderfolgende sehr entgegengesetzte Regierungen“ überstanden. „Wer hätte auf diesen Mann verzichten wollen!“ Jahrzehnte nach Obés Tod verzichten die Ärztekammer, die Landesregierung und die Universität gerne darauf, diesen Mann immer noch zu ehren.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort