Hier hat Kunst Zeit und Raum zu wachsen

Künstler mögen die kleine Kapelle - Rest einer ehemals großen Prioratskirche. Sie könnte eine gefragte Galerie sein. Doch wenn es um die Ausrichtung seines Kulturortes geht, ist Kurator Peter Lupp sehr entschieden. Wer hier seine Werke zeigt, der hat sie zuvor mit dem Ort und für den Ort erarbeitet. Das künstlerische Programm wechselt in Jahreszyklen ("per annum")

Künstler mögen die kleine Kapelle - Rest einer ehemals großen Prioratskirche. Sie könnte eine gefragte Galerie sein. Doch wenn es um die Ausrichtung seines Kulturortes geht, ist Kurator Peter Lupp sehr entschieden. Wer hier seine Werke zeigt, der hat sie zuvor mit dem Ort und für den Ort erarbeitet.Das künstlerische Programm wechselt in Jahreszyklen ("per annum"). Seit einem Jahr ist die Holzskulptur des Münchner Künstlers Hermann Bigelmayr in der Wintringer Kapelle zu sehen. "Grenzen des Wachstums" hat er die Installation genannt, die wie ein Getreidehalm aus dem Boden der Kapelle wächst. Neun Meter ragt sie in die Höhe - und bricht. Am Boden liegt ein Weizenkorn samt Spreu.

Bigelmayr beschäftigt sich schon lange mit ökologischen Themen. Für die Ideen, die seiner Arbeit zu Grunde liegen, und seine Arbeit selbst ließe sich kaum ein besserer Platz finden als die Kapelle - auf dem Althof eines Bioland-Betriebes, der auch Station für Jakobspilger ist und zugleich das symbolische Tor zum Biosphärenreservat Bliesgau. Einer der Leitgedanken der von der Unesco 2009 ausgezeichneten Region: Nachhaltigkeit.

Auf diese Weise ist die Neuzeit in die mittelalterliche Kapelle eingedrungen. Die Skulptur fügt sich dabei in die Ruhe des Raumes. Und stört sie gleichermaßen. Zeigt sie doch die Folgen einer Gesellschaft, die dem Glauben an Wachstum trotz aller Warnungen nicht abschwören will. Zudem tritt sie denen entgegen, die die Natur für völlig beherrschbar halten. Für Bigelmayr ist sie ein eigenständiges System. So weist er sie aus und verbindet sie mit der Umgebung der Kapelle: mit der ökologischen Landwirtschaft des Wintringer Hofes.

Bisher haben Künstler - vor Bigelmayr waren es beispielsweise der Bayer Andreas Kuhnlein mit "Stationen des Lebens" oder der im Saarland und in Frankreich lebende Till Neu mit seiner 48-teiligen Bilderwand "Ikonostase" - jeweils ein Jahr in der Kapelle ausgestellt. Von Sommersonnenwende zu Sommersonnenwende.

Hermann Bigelmayrs Kunst wird bleiben. Am 23. Juni zur Sonnenwende zeigt er erstmals die Erweiterung seiner Installation. Mit "Saatgut" beginnt der zweite Jahreszyklus beginnt. 2013 soll das dreiteilige Werk unter dem (geplanten) Titel "In der Schwebe" abgeschlossen werden.

Mit dem Kulturort Wintringer Kapelle geht Peter Lupp, Regionalemtwickler beim Regionalverband Saarbrücken, so einen neuen, einen zusätzlichen Schritt. Bigelmayrs erweitertes Werk begleitet von Anfang an ein öffentlicher Diskurs, an dem der Künstler teilnimmt. Motto jetzt ist das Goethe-Zitat "…gebackenes Brot ist schmackhaft und sättigend - für einen Tag; aber Mehl kann man nicht säen, und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden."

Der Kulturort Wintringer Kapelle, schreibt Lupp in der Einladung, reagiere erstmals auf die Frage, wie man Lebensräume bewahren, gestalten und ihre Impulse nutzen könne. Es gelte, der Schlüsselfrage der Nachhaltigkeit nachzugehen: "Was brauchen wir wirklich?"

Bis aus den Resten der ehemaligen Prämonstratenser-Abtei von Wadgassen der Kulturort wurde, jetzt zudem ein Ort für Diskurse, brauchte es Zeit. Peter Lupp begann sich als Denkmalpfleger für das Bauwerk zu interessieren. 1995 fingen die Restaurierungsarbeiten an, 2003 war die Kapelle fertig restauriert. Zeit für einen künstlerischen "Prolog". Der im Saarland lebende Nikolai Dimitrov beschäftigte sich dabei mit den sieben Todsünden, die Abbilder auf den Strebepfeilern der Kapelle sind. Regionalverband Saarbrücken, Lebenshilfe Obere Saar, Gemeinde Kleinblittersdorf. begleiten die "behutsame Inwertsetzung des Kulturortes" (Lupp). Und wo sonst als an diesen außergewöhnlichen Ort ließe sich besser zeigen, welch wichtiger Baustein Kultur für die Regionalentwicklung sein kann? "Die Kapelle ist Modell für die leise Inwertsetzung bedeutsamer Orte in der Region Saarbrücken."

Peter Lupp, Kurator

Hintergrund

Hermann Bigelmayr hat seine Installation ergänzt. "Saatgut" wird am Samstag, 23. Juni, 18 Uhr, in der Wintringer Kapelle vorgestellt. Dazu gibt es einen Diskurs, an dem der Künstler teilnimmt: "… und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden." Einführung: Peter Michael Lupp. Gäste: Manfred Zimmer (Vorsitzender Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung Obere Saar), Stefan Mörsdorf (Geschäftsführer der Europäischen Akademie Otzenhausen, Umweltminister a. D.), Stephan Strichertz (Bürgermeister von Kleinblittersdorf, Vorsitzender des Zweckverbandes Biosphärenreservat Bliesgau). red

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