Die guten Geister hinter Gittern

Mainz. Reinhard Vitt geht den Gang entlang, und seine Schritte hallen in den langen Fluren wider. Es ist ein wenig wie früher in der Schule: ordentlich beschriftete Türschilder, festgeklebte Teppichläufer, lange Flure. Wären da nicht die Gitter vor den Fenstern. Nach 30 Jahren als Lehrer hat Vitt die Schule gegen das Gefängnis eingetauscht

 Der evangelische Seelsorger Jörg Bauer (rechts) und sein katholischer Amtskollege Reinhard Vitt vor der Justizvollzugsanstalt Rohrbach bei Mainz - ihrer Wirkungsstätte. Foto: dpa

Der evangelische Seelsorger Jörg Bauer (rechts) und sein katholischer Amtskollege Reinhard Vitt vor der Justizvollzugsanstalt Rohrbach bei Mainz - ihrer Wirkungsstätte. Foto: dpa

Mainz. Reinhard Vitt geht den Gang entlang, und seine Schritte hallen in den langen Fluren wider. Es ist ein wenig wie früher in der Schule: ordentlich beschriftete Türschilder, festgeklebte Teppichläufer, lange Flure. Wären da nicht die Gitter vor den Fenstern. Nach 30 Jahren als Lehrer hat Vitt die Schule gegen das Gefängnis eingetauscht. Jetzt ist er katholischer Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Rohrbach südwestlich von Mainz. Dadurch ist vieles anders geworden im Leben des 64-Jährigen, nicht nur, dass sein Arbeitsplatz neuerdings durch 13 Stahltüren gesichert wird."Die Arbeit ist viel intensiver. Wer zu uns kommt, ist ohne Ausnahme in Not", sagt Vitt. Und sein evangelischer Kollege Jörg Brauer nickt. Fast gemeinsam haben beide im vergangenen Jahr den Dienst in Rohrbach angetreten. Die Häftlinge können sich ihnen anvertrauen, und sie machen Gebrauch davon. Die Seelsorger erfahren dabei Dinge, die sie auch selbst belasten. Geschichten über Schicksale und schlimme Verbrechen. "Aber das ist ja unser Beruf und umso befreiender ist es, wenn man helfen kann", sagt Brauer.

Jeden Morgen liegen rund 20 Wunschzettel in ihren Briefkästen. Viele Häftlinge wollen eine Bibel, einen Rosenkranz oder ein Vier-Augen-Gespräch. Vitt und Brauer kümmern sich aber auch um eher weltliche Probleme. Sie beraten, wenn die Freundin Schluss gemacht hat, oder fahren entlassene Häftlinge zum Bahnhof, wenn ein Taxi zu teuer ist. Zudem entscheiden sie, wer ein wenig Tabak bekommt. "Aber auch das ist Seelsorge. Fehlen alltägliche Dinge, schlägt das schnell auf die Psyche und damit auf den Frieden im Haus. Und den wollen wir erhalten", sagt Vitt. Fast die Hälfte der über 500 Häftlinge komme zu ihren Gottesdiensten in die Gefängniskirche am Sonntag und Montag. Sie begrüßen jeden mit Handschlag.

Über 500 Gefängnisseelsorger aus beiden großen christlichen Kirchen arbeiten in deutschen Gefängnissen. In Rheinland-Pfalz sind es 24. "Die Anstaltsseelsorge hat eine wichtige Funktion. Sie deckt einen Bereich ab, in dem die Anstalten kein eigenes Know-how haben", sagt der Sprecher des rheinland-pfälzischen Justizministeriums, Wahid Samimy.

Ein Zeichen von Toleranz

Auch Veysel Ayazs Arbeitsplatz in der Justizvollzugsanstalt Diez im Norden von Rheinland-Pfalz ist eine Gefängniskirche. Ayaz ist Hodscha, ein Rechtsgelehrter des Islam. Der türkische Staat hat ihn nach Deutschland geschickt. In Absprache mit der Gefängnisleitung betreut er muslimische Gefangene. In vielen Gefängnissen gibt es solche Kooperationen. Ayaz muss dafür allerdings in die Kapelle mit dem Jesuskreuz ausweichen. "Das ist aber überhaupt kein Problem, eher ein schönes Zeichen unserer Toleranz", sagt Ayaz. Im Gegensatz zu seinen christlichen Kollegen löst er Probleme gerne in Gruppengesprächen. An den hohen Feiertagen organisiert er dazu traditionelle Speisen aus der Türkei für ein kleines Fest.

 Der evangelische Seelsorger Jörg Bauer (rechts) und sein katholischer Amtskollege Reinhard Vitt vor der Justizvollzugsanstalt Rohrbach bei Mainz - ihrer Wirkungsstätte. Foto: dpa

Der evangelische Seelsorger Jörg Bauer (rechts) und sein katholischer Amtskollege Reinhard Vitt vor der Justizvollzugsanstalt Rohrbach bei Mainz - ihrer Wirkungsstätte. Foto: dpa

Vitt, Brauer und Ayaz verbindet der Glaube, dass jeder Mensch eine zweite Chance hat. Und alle drei mögen ihren Beruf, obwohl sie auch ruhigere Arbeitsstellen finden könnten. Aber auch das ist eine Frage der Perspektive. "Als ich nach dem Schuldienst etwas anderes machen wollte, sagte mein Vorgesetzter: Geh in die Gefängnisseelsorge", sagt Reinhard Vitt. "Wer 30 Jahre Schule aushält, der schafft auch Gefängnis."

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