Jetzt im Kino Von Vergeltung und Vergebung

✮✮✮✮ Neu im Kino: „Yalda“ von Massoud Bakhshi: Dramatisches Kammerspiel aus dem Iran.

 Archaische Bräuche machen nach wie vor den Frauen das Leben schwer.

Archaische Bräuche machen nach wie vor den Frauen das Leben schwer.

Foto: Somaye Jafari jba production

Die Zuschauer dürfen per SMS mit abstimmen. Die Frage lautet: Hat Maryam es verdient, dass man ihr vergibt? Die 1 für ja. Die 2 für nein. Dabei geht es in dieser Reality-Show nicht um irgendwelchen Liebeskummerkram. Für Maryam (Sadaf Asgari) ist die Möglichkeit der Vergebung eine Frage auf Leben und Tod. Die junge Frau wurde im Iran wegen Mordes an ihrem Ehemann verurteilt und soll gehängt werden.

Vergeltung ist ein integraler Bestandteil islamischer Rechtssprechung, aber das Gesetz räumt der Familie des Opfers auch die Möglichkeit der Vergebung ein. Das Urteil wird dann in eine milde Strafe umgewandelt und ein sogenanntes Blutgeld muss an die Hinterbliebenen entrichtet werden. Der archaische Brauch hat im Iran ein eigenes TV-Format hervorgebracht: Die Vergebungsshow. Hier werden Verurteilte und Opfer ins Studio eingeladen und sollen sich vor laufender Kamera möglichst publikumswirksam versöhnen. Über Zuschauer- und Sponsorenspenden wird das notwendige Blutgeld eingesammelt.

Nur leicht satirisch überhöht macht der iranische Regisseur Massoud Bakhshi eine solche Fernsehshow zum Austragungsort seines Dramas „Yalda“. Yalda – so nennt sich im Iran die längste Nacht des Jahres, in der sich die Familie zu einem speziellen Festmahl zusammenfindet. An einem solchen Feiertag darf in der Live-Show „Freude der Vergebung“ nichts schief gehen. Aber schon als Maryam die Dokumentation, die der Sender über ihren Fall gemacht hat, vor Beginn der Sendung sieht, gehen ihr die Nerven durch. Sie war noch ein halbes Kind, als sie mit ihrem 40 Jahre älteren Arbeitgeber eine befristete Ehe einging. Als Maryam schwanger wurde, kam es zum Streit. Um sich und ihr Kind zu schützen, schubste sie ihren Mann weg, der den Sturz auf der Treppe nicht überlebte. Nun soll dessen Tochter aus erster Ehe Mona (Behnaz Jafari) der Täterin verzeihen.

Vor der Kulisse eines Fernsehstudios entwickelt Bakhshi ein dramatisches Kammerspiel, das sich zwischen den Zeilen zu einem Panorama der iranischen Gesellschaft ausweitet. Hier geraten nicht nur die patriarchalen Strukturen und Klassengegensätze in den Blick, sondern auch die Rolle der Medien in einem autoritären Staat. Dabei verliert der Film nie seinen moralischen Grundkonflikt aus dem Blick, in dem unter den Augen der Öffentlichkeit um die Komplexität von Vergebung gerungen und gleichzeitig das persönliche Schicksal der Betroffenen vor der Kamera pervertiert wird.

F/D/Schweiz/Lux 2019, 89 Min.; Filmhaus (Sb); Regie und Buch: Massoud Bakhshi; Kamera: Julian Atanassov; Besetzung: Sadaf Asgari, Behnaz Jafari, Babak Karimi.

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