Filmtipp Eine Liebe auf Leben und Tod

✮✮✮✮ Neu im Kino: „Undine“ von Christian Petzold: Visuell überragend und märchenhaft.

 Fabelhaft: Paula Beer als Undine und Franz Rogowski als Christoph. 

Fabelhaft: Paula Beer als Undine und Franz Rogowski als Christoph. 

Foto: dpa/Christian Schulz

„Du musst doch etwas geahnt haben“ sagt er, als wäre die Trennung nur noch eine Formsache. Aber sie macht es ihm nicht leicht. Im Gegenteil.

„Du hast gesagt, dass du mich liebst. Für immer“ sagt Undine (Paula Beer) mit klarer Stimme. Und: „Du kannst nicht gehen. Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten. Das weißt du doch.“

Ein Beziehungsgespräch von ungewöhnlicher Entschiedenheit steht am Anfang von Christian Petzolds neuem Film „Undine“. Denn diese Undine ist nicht nur eine moderne, selbstbewusste Frau, sondern auch eine Gestalt aus der Märchenmythologie. Dort wird sie als weiblicher, halbgöttlicher Wassergeist geführt und bekommt erst durch die Liebe zu einem irdischen Mann eine Seele.

Wird der Vermählte untreu, bringt die Undine ihm den Tod und muss selbst wieder zurück ins Wasser verschwinden. Ein romantisches Abhängigkeitsverhältnis unter Extrembedingungen und eine Liebe auf Leben und Tod. Aber diese Undine hat genug von den Zwängen der Märchenordnung. Als der schnöselige Geliebte sie wegen einer anderen verlässt, will sie ihre Seele behalten und verliebt sich noch am selben Tag neu.

„Ich bin Industrietaucher“ stellt sich Christoph (Franz Rogowski) vor, der plötzlich im Café hinter ihr steht. Wenige Sekunden später platzt das Aquarium. Das Wasser reißt die beiden nieder. Die Goldfische liegen leblos am Boden. Vorsichtig zieht Franz die Glasscherben aus Undines Körper heraus – eine Kennenlernszene, die ihren Platz im cineastischen Gedächtnis verdient hat.

Petzold hat seine Märchenvariation fest im modernen Berlin verortet. Hier erklärt die Titelfigur als Historikerin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung anhand von großen Modellbauten die Geschichte der Metropole, die sich seinerzeit aus trockengelegten Sümpfen heraus selbst erfunden hat. Ihre Vorträge sind das Herzstück des Filmes, weil in ihnen nicht nur Stadtplanungsgeschichte verhandelt wird, sondern sich hier auch ein weiblicher Intellekt entfaltet, dessen Anziehungskräften Christoph hingebungsvoll erliegt.

Immer wieder begibt sich Petzold mit der Kamera auf Tauchstation hinab in einen Stausee, in dem riesige Welse und geheime Inschriften verborgen sind und das Licht der Realität nur gebrochen hindurch scheint. Gerade in visueller Hinsicht entwickelt „Undine“ eine große Sogwirkung, weil die Kameraarbeit von Hans Fromm erneut eine hoch konzentrierte Strahlkraft entwickelt. Ähnliches lässt sich für die Performance der fabelhaften Paula Beer sagen, die bei der diesjährigen Berlinale sehr verdient mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.

D/F 2020, 89 Min., Filmhaus (Sb); Regie und Buch: Christian Petzold; Kamera: Hans Fromm; Besetzung: Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree, Jacob Matschenz, Anne Ratte-Polle.

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