Jetzt im Kino Die Trümmer unserer zerstörten Gegenwart

✮✮✮✮✮ Neu im Kino: „Tenet“ von Christopher Nolan: Vom Seelenzustand der Generation Klimakatastrophe.

 John David Washington als namenloser Protagonist, der die Welt retten soll.

John David Washington als namenloser Protagonist, der die Welt retten soll.

Foto: Warner Bros.

Christopher Nolan ist einer der wichtigsten Filmemacher unserer Zeit – und ein aufrichtiger Verfechter des Kinos als kulturellem Erlebnisraum. Dass sein neues Werk „Tenet“ sich als erste große Hollywood-Produktion in der Corona-Krise auf den Weltmarkt traut, darf durchaus auch als Bekenntnis eines Regisseurs verstanden werden, dessen Film für die angeschlagenen Kinobranche das notwendige Überlebenselexier sein könnte.

Da passt es nur zu gut, dass Kinoretter Nolan einen echten Weltenretter ins Zentrum seines philosophisch-physikalisch aufgeladenen Spionagethrillers stellt. John David Washington („BlacKkKlansman“) spielt diesen Agenten, der nur „der Protagonist“ genannt wird, nicht als coolen Hund à la Bond, sondern als zugänglichen Menschen, der seinem eigenen Wertekanon folgt und von einer Organisation namens Tenet angeheuert wird. Dort ist man einem besorgniserregenden Phänomen auf der Spur. Gegenstände, die sich vor und zurück durch Raum und Zeit bewegen können, landen aus der Zukunft in unserer Gegenwart. Inversion nennt sich das physikalische Verfahren und die Wissenschaftler sind sich sicher: Bei all den inversierten Gegenständen, die in einem riesigen Magazin lagern, handelt es sich um die Trümmer unserer zerstörten Gegenwart. Und diese Zukunft gilt es zu verhindern.

„Tenet“ ist zuallererst ein äußerst spannender, komplex konstruierter Agentenfilm, der eine große Liebe für das Genre und ein hohes Maß an kinetischer Energie ausstrahlt. Für Nolan war Popcornkino und intellektueller Diskurs nie ein Widerspruch. Das Phänomen Zeit gehört dabei zu den Kernthemen seines Werks von „Memento“ (2000) über „Inception“ (2010) bis „Interstellar“. Aber „Tenet“ ist kein klassischer Zeitreisefilm. Gegenwart und Zukunft finden hier gleichzeitig statt und versuchen einander gegenseitig zu manipulieren. Das reicht bis zu einer finalen Schlacht, in der sich verschiedene Truppenverbände gleichzeitig vorwärts und rückwärts durch Zeit und Raum bewegen, um den Moment der totalen Zerstörung auszutricksen.

 In dem spannenden Spionage- und Science-Fiction-Thriller „Tenet“ finden Gegenwart und Zukunft gleichzeitig statt.

In dem spannenden Spionage- und Science-Fiction-Thriller „Tenet“ finden Gegenwart und Zukunft gleichzeitig statt.

Foto: AP/Melinda Sue Gordon

Genauso wie Nolan in „The Dark Knight“ das Lebensgefühl nach dem 9/11 in Film fasste, bringt er nun den Seelenzustand der Generation Klimakatastrophe auf den Punkt. Das Gefühl der Unausweichlichkeit, mit der die Menschheit in den eigenen Untergang hineintreibt, ist prägend für diese Ära und der Kampf gegen eine determinierte Zukunft wird zur treibenden Kraft für den Protagonisten. Aber Nolan wird nicht zum Prediger, sondern bleibt Seismograph, der die Zeichen der Zeit genau erkennt und im Blockbuster-Format emotional zugänglich macht – und das kann immer noch keiner so gut wie er.

USA/GB 2020, 150 Min.; Regie und Buch: Christopher Nolan; Kamera: Hoyte van Hoytema; Musik: Ludwig Göransson; Besetzung: John David Washington, Elizabeth Debicki, Robert Pattinson, Aaron Johnson.

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