Spitzenklassik im Fachwerkwinkel

Colmar · Das Musikfestival in Colmar feiert in diesem Jahr seinen künstlerischen Leiter, den russischen Geiger Vladimir Spivakov, der seit 25 Jahren die Festspiele verantwortet. Eindrücke vom Festival im Südelsass.

 Geigerin Arabella Steinbacher mit dem Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester unter Marek Janowski in der Kirche Saint Matthieu beim Musikfestival Colmar. Foto: Bernard Fruhinsholz/Festival Colmar

Geigerin Arabella Steinbacher mit dem Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester unter Marek Janowski in der Kirche Saint Matthieu beim Musikfestival Colmar. Foto: Bernard Fruhinsholz/Festival Colmar

Foto: Bernard Fruhinsholz/Festival Colmar

Man hat ja so seine Vorstellungen von Colmar: heimelige Fachwerkwinkel, touristisch hochdosiertes Elsass, Störche, Trachten, Gugelhupf wie von "Hansi" liebevoll-ironisch gemalt, und natürlich den Isenheimer Altar. Doch Colmar hat auch sein "Internationales Musikfestival", das mehr sein will als ein regionales Ereignis.

Über 30 Jahre existieren die Festspiele bereits. Der Bach-Dirigent Karl Münchinger machte den Anfang, 1980. Umso mehr irritiert jetzt die "25" auf den Plakaten. Das Vierteljahrhundert aber, das hier gefeiert wird, gilt dem aktuellen Festivalchef Vladimir Spivakov. Weise lächelt er schwarz-weiß von den Großplakaten. Seit 1989 verantwortet der russische Spitzengeiger und Dirigent das musikalische Sommervergnügen im Südelsass. Er und die Konzertreihe sind darüber quasi eins geworden: Festival Spivakov sagt man nur noch in Colmar.

Stolz listet das Programmbuch auf, das selbst das Pendant der Salzburger Festspiele im Umfang weit hinter sich lässt, wer schon alles da war. Von Yehudi Menuhin bis Jessye Norman - fürwahr ein exquisites Register. Dazu junge Künstler, deren Stern noch steigen dürfte. Diese Begegnung der Arrivierten und der Kommenden pflegt man in Colmar besonders. Anna Vinnitskaya gehört zu den Jungen. Selbstredend ist die Gewinnerin des Reine-Elisabeth-Preises und mit 29 bereits Klavier-Professorin in Hamburg, keine Unbekannte mehr. Aber mit welch' differenziertem Anschlag und interpretatorischer Finesse sie die Rachmaninow-Rhapsodie über ein Paganini-Thema (op. 43) auf dem Steinway wirbelt, ist schlicht sensationell. Und wenn frau dann auch noch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin an ihrer Seite weiß, sind musikalische Sternstunden möglich. Perfekt betten die Berliner das Spiel der Virtuosin.

Aber auch ohne Solistin sind die Berliner mit ihrem Chef Marek Janowski in der alten Franziskaner-Kirche Saint Matthieu herausragend. Dvoraks Sinfonie "Aus der Neuen Welt" wird zum gewaltigen Werk des Aufbruchs - ohne falsches Pathos gespielt und makellos ausbalanciert im Klang. Kein Wunder, dass die Berliner in Colmar immer wieder gern gehörte Gäste sind. Gleich drei Konzerte geben sie beim Festival. Auch den Eröffnungsabend: Wobei Mendelssohns Violinkonzert Nr. 2 mit Solistin Arabella Steinbacher da noch einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Die Abstimmung zwischen Orchester und der Münchner Geigerin gelingt nicht immer, die Holzbläser hinken hinterher. Und so kühn Steinbacher ihre Kadenzen anlegt, so blühend der Ton ist - es fehlt an Emotion, es bleibt oft kaltes Feuer. Schuberts Symphonie Nr. 9 dagegen wird zum Juwel. Auch wenn der Dirigent gerade im Schlusssatz der "Großen" viel, vielleicht zu viel, an Tempo fordert, schafft der strenge Janowski innere Spannung und Glanz zugleich.

Zwei Konzerte nur von 28, die aber exemplarisch für das Programm in Colmar stehen. Es ist vor allem ein Programm des 18., 19. und noch des 20. Jahrhunderts. Zeitgenössisches kommt so gut wie gar nicht vor. Colmar verzaubert als Stadt mit malerischen Gassen, wo sich Mittelalter und Renaissance aneinander schmiegen - und setzt konsequent auch musikalisch auf Geschichte. Und: Schönere Konzertsäle als die gotische Kirche Saint Matthieu, das alte Zollhaus Koifhus und die Chapelle Saint Pierre kann man sich kaum vorstellen. Akustisch bessere allerdings.

Das wird einem etwa klar beim Gedenkkonzert für die 2012 verstobene Pianistin Brigitte Engerer in Saint Pierre. Trotz aller Dämmmaßnahmen, die der Kirche das Aussehen einer Baustelle aufnötigen, kommt das Doppelspiel von Helene Mercier und Cyprien Katsaris oft nur wie Hallsuppe an. Ohnehin fehlen bei der Brahms-Sonate für zwei Klaviere und dem Schumann Quintett (hier für zwei Klaviere transkribiert) gelegentlich Präzision und leider auch Esprit. Nur ein Wermutstropfen. Denn ansonsten ist das Festival eine Reise wert - und Colmar ohnehin.

Das Musikfestival in Colmar läuft noch bis 14. Juli. Ausführliche Informationen zum Programm im Internet unter www.festival-colmar.com

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