Weltkulturerbe im Wandel Von der Hölle zum Paradies - Wie die Völklinger Hütte grüner wird (mit Bildergalerie)

Völklingen · Feuer, Hitze, Schwefel und Staub sind einem „Paradies“ gewichen. Auf dem Gelände der früheren Kokerei kehrt die Natur in der Völklinger Hütte zurück. Der Ort zwischen Verfall und neuem Biotop überrascht.

Bildergalerie: Wie die Natur die Völklinger Hütte zurückerobert
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Die Völklinger Hütte wird grüner

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Foto: dpa/Oliver Dietze

Birken wachsen durch Stahlträger. Kletterpflanzen umranken rostige Großrohre. Moose gedeihen im einstigen Teerbecken und Fische schwimmen im Klärbecken von damals. Ganz klar: Die Natur erobert sich das Gelände um die frühere Kokerei des Weltkulturerbes Völklinger Hütte immer mehr zurück. Rund 35 Jahre nach Stilllegung des Eisenwerks gedeihen Wildrosen, Flechten, Flieder und Brombeeren, wo einst Feuer, Hitze und Staub dominierten.

„Die Natur ist hier sich selbst überlassen“, sagt Generaldirektor Ralf Beil. „Und sie zeigt erstaunliche Renaturierungskräfte.“ Unter dem Namen „Paradies“ soll das besondere Areal nun für Besucher besser zugänglich gemacht werden. Ein Teil der Erschließung ist bereits gemacht - der neue Rundweg soll im Frühjahr 2022 fertig sein.

Rund 33 000 Quadratmeter groß sei das Gebiet. „Ein paar Kilometer Fußweg werden es dann schon sein“, sagt Beil und macht vor einem rund zehn Meter großen Werk des Künstlers Ottmar Hörl Halt: einem schwarzen King Kong, der in den Parcours integriert ist. „Er könnte hier nicht besser stehen. Er steht für die ungeheure Kraft der Natur“, sagt Beil. Die komme auch auf vergiftetem Gelände zurück.

„Es war hier die Hölle“, sagt der Pressereferent der Weltkulturerbestätte, Armin Leidinger, vor den einstigen Koksbatterien. „Viel Schwefel, viel Feuer.“ Der Koks sei rotglühend aus den Koksbatterien gekommen. Zudem hätten die Arbeiter ohrenbetäubenden Lärm ertragen müssen. Das Paradies an dieser Stelle sei ein schöner Kontrast.

„Wir sind hier ein Ort der Industriekultur und Geschichte, der Kunst und der Kultur“, sagt Beil. Zudem solle nun Natur stärker fokussiert werden - auch mit Blick in die Zukunft. Dazu passe auch das erste Zukunftslabor (Future Lab) der Hütte, das gerade in Form von Tomaten, Queller und Lavendel in die frühere Erzhalle eingezogen ist - und sich um Inhouse-Farming, also den Indoor-Anbau von Nutzpflanzen und Aquaponik, die Aufzucht von Fischen in Aquakultur, dreht.

Im „Paradies“ hält auch die Tierwelt Einzug. Dutzende Bienenstöcke stehen auf einer Wiese. Sie machen den „Hüttenhonig“. Beil: „Wir sind dabei, das auszuweiten.“ Gelegentlich seien auch schon mal Wildschweine im „Paradies“ gesichtet worden, ebenso wie Füchse. Und demnächst sollen als Teil eines Kunstprojekts der Hochschule der Bildenden Künste Saar mit ihrem Campus in der Handwerkergasse der Hütte noch vier Pfauen dazu kommen, die eingekauft werden.

„Es werden Silberscheck-Weißaugen sein“, berichtet Beil. Neben einem Hochmoor werde auf der stählernen Hängebahn der Kokerei ein hölzernes Pfauenhaus gebaut, man sei auf der Suche nach einem ehrenamtlichen Pfauen-Beauftragten. Warum Pfauen? Weil diese Vögel ein fester Bestandteil in den Paradieslandschaften etwa des Malers Jan Brueghel des Älteren seien, sagt der Direktor.

Die Rückeroberung der Natur sei aber nicht nur auf das „Paradies“ begrenzt. An der Sinteranlage ist es auch bereits buschig grün, in der Nähe ist ein Becken mit Fischen zu sehen. Und die Pläne für mehr Grün gehen weiter: Auf einem Teil des Besucherparkplatzes sollen Hochbeete entstehen, kündigt Beil an. „Quasi als Echo des Paradieses, das heißt mit Pflanzen, die auch dort wachsen.“

Und am Wasserhochbehälter, der der neue Eingangsbereich werde, sei bis 2023 eine Grünzone geplant. „Auch hier entsteht ein Stück Natur, wir werden klimaresistente Bäume pflanzen.“ Als eine Art neue Willkommenskultur. Und Beils Ideen gehen noch weiter: „Ich möchte gerne die Halden noch mehr einbeziehen.“ Und daher auch an die Saar, liegen die Halden doch auf der anderen Flussseite. „Zur Lebensqualität gehört auch, am Fluss zu sein.“ Möglich sei in Zukunft vielleicht ein Zugang oder gar ein Strand an der Saar.

In der Völklinger Hütte war im Juli 1986 die Roheisenproduktion beendet worden - das historische Eisenwerk hatte nach mehr als 100 Jahren ausgedient. Das weltweit einzig erhaltene Eisenwerk aus dem Industriezeitalter ist seit 1994 Unesco-Weltkulturerbe - und zieht in Nicht-Corona-Jahren im Schnitt rund 200 000 Besucher an.

Die Erweiterung des „Paradieses“, das in anderer Form seit 2009 zu erleben ist, soll am 10. und 11. Juli mit einem „Paradiesfest“ gefeiert werden.

(dpa)
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