Kolumne Szenen einer Bahnfahrt

Was tun Menschen, wenn sie in der Eisenbahn unterwegs sind? Ein schier unerschöpfliches Kapitel. 

Kolumne: Szenen einer Bahnfahrt
Foto: dpa/Jens Büttner

Ich fahre gerne mit dem Zug. Im Großraumabteil trifft man die unterschiedlichsten Zeitgenossen. Es gibt den Dauer-Leser, den Dauer-Schläfer und den Dauer-Nörgler. Nicht zu vergessen den Dauer-Esser. Schon kurz nach Fahrtbeginn stapeln sich die Frischhalteboxen auf der Geschirrtuch-Serviette. Käse- und Wurstbrote, Eier, Tomaten, Radieschen, saure Gurken, Frikadellen, Melonenhäppchen, Obstsalat und Schokolade stehen auf der Speisekarte. Das Timing des Dauer-Essers ist perfekt. Fünf Minuten, bevor der Zug am Zielbahnhof einfährt, hat er die Tafel komplett leer geputzt. Meist reisen zwei oder drei Dauer-Esser gemeinsam, Gesellschaft regt den Appetit an.

Auch Geschäftsleute nutzen die Bahn. Sie arbeiten mit Smartphone und Laptop. Am Telefon wird über Baupläne, die Kollegen und die Konkurrenz diskutiert. Noch breiter gefächert ist das Themenspektrum des Dampfplauderers. Egal, wer neben ihm sitzt – sofort findet sich ein Anknüpfungspunkt. „Sie kommen aus dem Saarland? So ein Zufall. Meine Schwester wohnt in Mainz. Das liegt doch ganz in der Nähe“, verkündet er zu Beginn seines Monologs.

Neben den Alleinreisenden gibt es viele Gruppen, die auf die Bahn setzen. Etwa die Familie mit Kind. Oder die Schulklasse: Während draußen das schöne Mittelrheintal vorbeirauscht, daddelt der Nachwuchs am Smartphone. Erst als die Zugbegleiterin nach der Fahrkarte fragt, hebt jemand den Kopf. „Da hinten sitzt unser Lehrer. Der mit der Glatze. Er ist Single“, erklärt ein Schüler augenzwinkernd.

Auch eine gut gelaunte Frauengruppe ist unterwegs. Sie genießt den jährlichen Ausflug. „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“, ruft eine Dame, während sie den Freundinnen mit dem Sekt-Becher zuprostet. Stößchen!

Manchmal kommt es vor, dass eine Damen-Ausflugsgruppe und ein Dampfplauderer zueinander finden. Dann verabschieden sich der Dauer-Schläfer und der Geschäftsmann ins Bordrestaurant. Und der Dauer-Leser greift zu Kopfhörer und Hörbuch.

Ach ja, einen Zeitgenossen hätte ist fast vergessen. Er mustert jeden Mitreisenden von oben bis unten, klebt ihm in Gedanken ein Etikett auf die Stirn und steckt ihn in eine Schublade. Oder er verfrachtet ihn in eine Glosse. Sorry, manchmal kann ich mich halt nicht beherrschen. Dabei mag ich die bunte Bahn-Truppe. Ehrlich. Macht‘s gut, ihr Lieben! Wir sehen uns bei der nächsten Zugfahrt.

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