Warum die Saar-Piraten seit der Wahl 2012 in Umfragen abgestürzt sind

Saarbrücken · Nur noch ein Prozent im jüngsten „Saarland-Trend“: Die Piraten sind an einem neuen Tiefpunkt angelangt, ihr Wiedereinzug in den Landtag bei der Wahl 2017 äußerst fraglich. Wie konnte es dazu kommen?

 Andreas Augustin, Jasmin Maurer und Michael Hilberer (v.l.) bilden die Piratenfraktion. Als dieses Foto nach der Wahl 2012 entstand, gehörte auch Michael Neyses noch dazu. Foto: B&B

Andreas Augustin, Jasmin Maurer und Michael Hilberer (v.l.) bilden die Piratenfraktion. Als dieses Foto nach der Wahl 2012 entstand, gehörte auch Michael Neyses noch dazu. Foto: B&B

Foto: B&B

Am Abend des 9. Januar, beim Neujahrsempfang der Stadt Saarbrücken im E-Werk, nahm Pirat Michael Neyses den Grünen-Landesvorsitzenden Hubert Ulrich kurz zur Seite. Neyses steckte ihm vertraulich, er würde gerne in die Grünen-Fraktion wechseln; für die Piraten sehe er keine Zukunft mehr. Gut zwei Wochen später überraschte Neyses in einer routinemäßigen Fraktionssitzung seine völlig verdutzten Piraten-Mitstreiter mit seinem Wechsel zu den Grünen. "Nicht ich habe mich von meiner Partei gelöst, sondern meine Partei befindet sich in Auflösung", rechtfertigte sich Neyses anschließend. "Die Partei, für die ich in den Landtag gewählt wurde, gibt es nicht mehr." Es gebe keine Möglichkeit mehr, die inhaltlichen Ziele bei den Piraten zu erreichen. "Man kann sagen: Game over in Land und Bund."

Neyses' Analyse der Situation, in der sich die Piraten befinden, wird nun im Grundsatz von Meinungsforschern bestätigt. Der jüngste "Saarland-Trend" von Infratest Dimap im Auftrag des SR kommt zu dem Ergebnis, dass nur noch ein Prozent der Saarländer die Partei wählen würde, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre - nach 7,4 Prozent bei der Landtagswahl am 25. März 2012. Der Landesvorsitzende Gerd Rainer Weber gab sich etwas ratlos: "Ich muss gestehen, dass ich das Ergebnis mit nur einem Prozent sehr überraschend finde", sagte er auf SZ-Anfrage. Zumal die Piraten bei der Kommunalwahl im vorigen Jahr dort, wo sie angetreten seien, recht gut abgeschnitten hätten.

Kaum jemand rechnet mittlerweile noch damit, dass die Piraten 2017 wieder in den Landtag einziehen. Wie konnte es zu dem Absturz kommen?

Erstens: Die Landtagswahl 2012 fiel in eine Phase des bundesweiten Hypes um die Piraten. Noch im selben Jahr brachen Querelen in der Bundespartei aus, die die Partei bis heute und bis hinunter in die Landesverbände zermürben. Bekannte Gesichter wie der Berliner Landesvorsitzende Christopher Lauer und die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg traten entnervt aus der Partei aus. Auch der saarländische Landesverband habe "im vergangenen Jahr ein paar interne Schwierigkeiten" gehabt, sagt Landeschef Weber. Mit dem aktuellen Landesvorstand sei die Partei aber "auf einem recht guten Weg". Es sei wieder "Ruhe im Karton".

Zweitens: Die Piraten haben den Übergang von einer nur lose vernetzten Bewegung junger IT-affiner Menschen in die festen und formalisierten Strukturen einer Partei nicht geschafft. Der ehemalige Landeschef Michael Hilberer gab den Vorsitz 2014 nach nur einem Jahr wieder ab, weil er nach eigenen Worten für eine angestrebte Professionalisierung der Parteistrukturen keine Unterstützung fand. Zwar zählen die Saar-Piraten noch knapp 400 Mitglieder. Aber nur rund ein Viertel war im vergangenen Jahr stimmberechtigt, der Rest sind Karteileichen, die keinen Mitgliedsbeitrag zahlen. Zu Mitgliederversammlungen erscheinen kaum mehr als zwei Dutzend Aktive. Viele Arbeitsgruppen haben in den letzten Jahren mangels Interesse ihre Arbeit eingestellt. Immerhin: Im Dezember 2014, so ist auf der Internetseite zu lesen, wollte die Partei einen Neuanfang wagen - mit der Arbeitsgruppe "Politische Arbeit".

Drittens: Die Piraten sind Opfer der Kurzlebigkeit neuer Protestparteien. Dass sie auch Protestpartei sind, steht außer Frage: Das wichtigste Thema für ihre Wähler war 2012 laut Infratest Dimap die soziale Gerechtigkeit - erst mit großem Abstand folgte die Netzpolitik, der eigentliche Markenkern. Ihr starkes Ergebnis vor drei Jahren verdankten die Piraten in erster Linie jungen, gut gebildeten Menschen, aber eben auch Arbeitern und Arbeitslosen. Von keiner Partei wanderten so viele Wähler zu den Piraten wie von der Linken. Die sind nun wieder weg.

Viertens: Den Piraten fehlt im Land ein Alleinstellungsmerkmal, das ihre Anhänger mobilisiert. Der Wandel zur Informationsgesellschaft zündet als Thema nicht besonders - zumal die Weichen dafür eher nicht im saarländischen Landtag gestellt werden. Viele Positionen der Piraten werden auch von Linken und Grünen vertreten. Eigene Initiativen wie ein fahrscheinloser öffentlicher Personennahverkehr verpufften schnell wieder. Den drei Abgeordneten kann man Fleiß und Engagement nicht absprechen. Parteichef Weber sagt, die Fraktion unternehme viel, um die Themen der Piraten an die Öffentlichkeit zu transportieren. "Aber irgendwie kommt es nicht so wirklich bei den Leuten an." Vor der Landtagswahl im Frühjahr 2017 werde die Partei versuchen, mit den eigenen Themen besser "an die Leute ranzukommen". Der Parteichef räumte aber ein: "Es wäre jetzt vermessen zu sagen: Das bringt uns ganz sicher in den Landtag."

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